David Vann, Goat Mountain

Die knallhärteste Geschichte über Leben und Tod, Opfer und Mord, Blut und Initiation gibt es immer noch im Alten Testament, die pure Härte bricht aus, wenn man diesen archaischen Text in der Gegenwart erzählt.

David Vann braucht für seine Opfer-Orgie nur wenige Zutaten. Der elfjährige Ich-Erzähler wird von Vater, Großvater und einem Bekannten mitgenommen auf die Jagd, wo er am Goat Mountain seinen ersten Hirschen schießen soll, um eine Vorstufe von Mann zu werden. Abenteuerlich gut gelaunt bricht die Truppe auf und entdeckt bald einmal einen Wilderer, der ungeniert in der Landschaft steht.

Der Ich-Erzähler betrachtet den Fremdling durch das Zielfernrohr des Großvaters und drückt fachmännisch ab.

Jetzt ist die Hölle los. Der Großvater befiehlt dem Vater, den Sohn abzuknallen, damit die Story vergessen bleibt, der eine will den Wilderer sich selbst überlassen, der andere die Polizei verständigen, der Ich-Erzähler wird geschnitten und zur unerwünschten Person erklärt.

Was immer freilich geschieht, es ist eine Geschichte, die sich nicht mehr wegerzählen lässt. Also wird der Tote eingeholt und im Camp aufgehängt wie ein echter Hirsch. Die nächsten Tage vergehen stumm und archaisch, es wird gegessen, geschwiegen und eine kollektive Aggression ausgebrütet. Der Vater tritt in seiner Wut einmal den ganzen Berg, als könnte er ihn weich stimmen.

Beinahe zufällig schießt der Erzähler dann noch seinen Hirschen mit dem eigenen Gewehr, aber der Todeskampf des Tieres macht den Elfjährigen mehr fertig als der abgeknallte Wilderer. Jetzt ist die Trophäe in seiner Hand, er ist ein Mann und ein Nichts.

Am Schluss müssen die Helden wohl oder übel wieder zurück in die sogenannte Zivilisation, weshalb sie einander noch einmal argwöhnisch umkreisen und dann gegenseitig niederknallen.

In die schier unerträglich plastische Jagdgeschichte voller Natur, Brutalität und Bio-Physik sind Abschnitte einer biblischen Opferung eingeflochten. Die Jagd als Überlebenskampf wird zu einem Initiationsritus apokalyptischen Ausmaßes. Am Schluss haben dann alle ihre Mission erreicht und sind erledigt.

David Vann erzählt penibel und kurz angebunden, die Dinge verfremden sich vor den Augen des Erzählers, weil er entweder das falsche Alter, den falschen Kulturkreis oder den falschen  Tag erwischt, wenn er zur Waffe greift. Und zur Waffe muss er greifen, sonst wäre er kein Nachfahre von Waffengreifern.

Die Bilder sind oft verknappt zu eingeschlagenen Nägeln.

Mein Großvater in der Fahrerkabine, in Wartestellung, Fleisch ohne Gedanken.“ (31)
Ein Bote ohne Botschaft von nichts geschickt. (77)
Das war offensichtlich keine Jagd sondern eine Bestrafung. (119)

Der Erzähler versteht die Welt nicht mehr, aber er wird dabei ein Mann. David Vann räumt auf mit allen kaputten Jagd-Mythen, indem er sie sarkastisch wörtlich nimmt.

David Vann, Goat Mountain. Roman. A. d. Amerikan. von Miriam Mandelkow. [Orig.: Goat Mountain, New York 2013].
Berlin: Suhrkamp 2014. 270 Seiten. EUR 23,60. ISBN 978-3-518-42455-1.

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp Verlag: David Vann, Goat Mountain
Wikipedia: David Vann

 

Helmuth Schönauer, 22-08-2013

Bibliographie

AutorIn

David Vann

Buchtitel

Goat Mountain

Originaltitel

Goat Mountain

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Suhrkamp

Übersetzung

Miriam Mandelkow

Seitenzahl

270

Preis in EUR

23,60

ISBN

978-3-518-42455-1

Kurzbiographie AutorIn

David Vann, geb. 1966, auf Adak Island / Alaska, lebt in Kalifornien.