Dietmar Füssel, Menschenfleisch

In der Literatur ist das Menschenfleisch unlösbar mit dem Rübezahl verknüpft, der in eine Hütte eindringt und die unsterblichen Worte ruft: Ich rieche, rieche Menschenfleisch!

Ähnlich abrupt tritt Dietmar Füssel in die diversen Szenarien menschlicher Schwächen ein und riecht die Situationen mit kalter Lyrik-Schnauze ab. In einer Mischung aus Auszählreim, Flegel-Gedicht oder Altherren-Spucke nimmt er die jeweiligen Situationen auf die Reimschaufel und macht schön geordnete Häufchen daraus.

Der Reim bringt vor allem Irritation, setzt man ihn doch meist zu hehren Anlässen, späten Events oder als alkoholisch weich gespeichelte Sprechkonstruktionen ein. Umso überraschender wirkt der Reim, wenn er einen Kriminalfall begleitet, den Tatort als wohlgestaltete Analyse besingt oder eine Symphonie aus Handy-Tönen in Konkordanz bringt.

Mein Onkel ist / ein reicher Mann, / ich bin / sein armer Neffe. // Drum schleich ich erb, / so gut ich kann, / wenn ich /den Onkel treffe. (14)

Verwandtschaftsverhältnisse werden radikal ausgenützt, Vertrauenspersonen legen sich selbst hinein und harmonisch ausgelegte Tatbestände gleiten ständig ins Groteske, wie etwa eine Frauenleiche, die einen Polizisten auf dem Weg zu seinem Fernsehprogramm ebenfalls mit Frauenleiche auflauert.

Es stolpert der Polizist / über eine weiche, / ziemlich junge, ziemlich frische, / nackte Frauenleiche. // Der Polizist sah auf die Uhr: / Es war dreiviertel vier, / zu Hause warteten die Frau, TV-Programm und Bier. [...]“(29)

Diese weiche Auffindung eines harten Tatbestandes lässt sich durch die abgerundete Lyrik lesen als hohes Lied eines österreichischen Beamten oder als Vorspiel der Österreichischen Seele für den Hard-Core-Abend. Die literarische Verbrämung jedenfalls führt den Fall gleich gar nicht in die Akten sondern gleich ins Lesebuch, wo hoffentlich die nächsten Generationen die Psyche der Vorfahren in gereimter Form aufführen.

Dietmar Füssel gibt seinen eigenartigen Gedichten manchmal wie einem Theaterstück dramaturgische Anleitungen, meist indem er auf die Melodie des zu intonierenden Gassenhauers verweist. So lässt sich die Magd nach der Mühle vom rauschenden Bach singen oder das Lied eines Sonderlings nach der Sauerkrautpolka.

Meist genügt die Intonation des schrägen Titels, der das Gedicht wie von selbst in Schwung bringt. Ich handle mit Eiern, ein Stimmvieh, Augen wie Tau, Ich hab ein Grab entdeckt.

Der Herausgeber Erich Schirhuber, selbst Lyriker, schreibt über dieses Menschenfleisch:

In der österreichischen Literatur haben der schwarze Humor, das Makabre, ja, auch der boshafte Witz einen festen Platz. […] Durch die scheinbar niedliche Form gereimter Strophen geistern Monster, Menschenfresser, beißwütige Tiere – aber auch skrupolöse Gangster, ungute Lehrer, ignorante Polizisten, Ehefrauen auf Abwegen, Mädchen, die keine sind. (5/6)

Dietmar Füssel, Menschenfleisch. Eigenartige Gedichte.
Mödling: Edition Roesner 2014. 126 Seiten. EUR 16,95. ISBN 978-3-902300-85-0.

 

Weiterführende Links:
Edition Roesner: Dietmar Füssel, Menschenfleisch
Wikipedia: Dietmar Füssel

 

Helmuth Schönauer, 22-10-2014

Bibliographie

AutorIn

Dietmar Füssel

Buchtitel

Menschenfleisch. Eigenartige Gedichte

Erscheinungsort

Mödling

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Edition Roesner

Seitenzahl

126

Preis in EUR

16,95

ISBN

978-3-902300-85-0

Kurzbiographie AutorIn

Dietmar Füssel, geb. 1958 in Wels, lebt als Bibliothekar und Schriftsteller in Ried/OÖ.