Elmore Leonard, Raylan

Am Rande einer Gesellschaft gibt es oft nur noch schwarz und weiß, so dass man sich in der literarischen Darstellung am besten mit klaren Formen wie dem Western oder dem Marshal-Krimi helfen kann.

Elmore Leonard ist berüchtigt für seine klare Figuren-Sprache, einen Plot von der Schärfe eines Scherenschnittes und einem tödlichen Witz. Wie schlagen sich deine Verwandten dort, wird jemand gefragt, sie sitzen oder sind tot, lautet die lapidare Antwort. (19)

Der US-Bundesstaat Kentucky ist durch die Krise im Kohlebergbau in den Standard eines Dritte-Welt-Landes abgerutscht, wer es nicht geschafft hat, aus diesem schwarzen Tagbau-Loch zu entkommen, ist dem Kreislauf Arbeitslosigkeit, Verschuldung und Pfändung ungeschützt ausgesetzt. In der Gegend stehen noch alte Schilder als Verhöhnung herum: ohne Kohle kein Licht! (73)

Aber auch der Marshal Raylan wird nach einem Schnellschuss im Einsatz aus dem sonnigen Florida abgezogen und in in den schwarzen Kentucky Dunst geschickt. Die Fälle, die er nun am laufenden Band abzuarbeiten hat, sind skurril wie die Überlebensmethoden einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft.

Eine Krankenschwester organisiert einen erpresserischen Nierenhandel, dabei werden den Opfern die Nieren entnommen und während sie noch in einer Badewanne ihre Narkose ausschlafen, kommt schon das Angebot für eine Rücktransplantation. Bei der Recherche ist das Badewasser für den Marshal schon eingelassen, als er mit einem Schnellschuss die Krankenschwester erledigt.

Letztlich ist er selbst überrascht, dass er eine Frau erschießen kann nach dem Motto:

Bring's hinter dich und dann raus hier. Nachdenken kannst du später. (122)

Die stellvertretende Konzernchefin eines Kohle-Imperiums fordert Rylan hingegen als persönlichen Schutz gegen aufgebrachte Arbeiter an, sie hat jede Menge Dreck am Stecken und versucht Rylan durchaus einmal auszuhorchen, auf welcher Seite er steht. Der ist kurz angebunden:

Ich habe ihn mal verhaftet, viel geredet haben wir nicht dabei. (240)

In diesem Ambiente lassen Bulldozer Felsblöcke auf die Häuser unbotmäßiger Untergebener rollen, während ein reicher Vettel den höchsten Berg der Gegend gekauft hat, um ihn als Spezialität einem vertrottelten Neffen zu vererben.

Aus ehemaligen Arbeitern sind oft Pflanzer geworden, die das beste Gras des Kontinents herstellen, eine vife Lady, die vielleicht einmal Marshal werden will, zockt noch einmal alle Poker-Tische des Landstrichs ab, „denn man weiß nie, wie weit man gehen kann – bis man da ist.“ (258)

Das Ende ist Western-würdig, die Bösewichte werden erschossen, auch die Frauen, wenn sie böse genug sind. Nicht einmal Bildung nützt als Ausweg aus dem Desaster, denn auch die Konzernchefin wusste alles, nur nicht, wer wir sind. (238)

Raylan ist eine kühle Abrechnung mit einer Gesellschaft, die durch wirtschaftlichen Niedergang wieder in die archaischen Normen jenseits der Humanität zurückgeworfen ist. Und dennoch wimmelt es in der Unbeholfenheit der Figuren von lustigen Sequenzen, die man als puren Lakonismus begreifen kann.

Elmore Leonard, Raylan. Roman. A. d. Amerikan. von Kirsten Riesselmann. [Orig.: Raylan, New York 2012].
Berlin: Suhrkamp 2013. 308 Seiten. (= st nova 4395). EUR 20,60. ISBN 978-3-518-46395-6.

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp-Verlag: Elmore Leonard, Raylan
Wikipedia: Elmore Leonard

 

Helmuth Schönauer, 09-02-2013

Bibliographie

AutorIn

Elmore Leonard

Buchtitel

Raylan

Originaltitel

Raylan

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Suhrkamp

Übersetzung

Kirsten Riesselmann

Seitenzahl

308

Preis in EUR

20,60

ISBN

978-3-518-46395-6

Kurzbiographie AutorIn

Elmore Leonard, geb. 1925, lebt in Oakland County, Michigan.