Erika Kronabitter, La Laguna

Die Geschichte ist nicht nur ein Ablauf von Ereignissen, die hintereinander gelesen eine Story ergeben, Geschichte ist vor allem ein zerrissenes Gebilde, das sich nur schwer zu einer Collage zusammenkleben lässt.

Erika Kronabitter geht mit ihrem Roman der Frage nach, ob man Frieden mit der eigenen Geschichte schließen kann, wenn man ihr genug Zeit lässt. „Überblick erhält, wer Abstand gewinnt.“ (227)

Zentrum dieser Erkundungen der eigenen Seele ist Elena, die ihren Gefühlszustand in der Gegenwart jeweils in knappen Einträgen zusammenfasst.

Ich habe alles überlebt. Die Trennungen, die Beleidigungen. All das, was einem Eltern so antun. (77)

Beim Aufräumen ihrer Gemütsverfassung dringt sie immer weiter in die Vergangenheit vor. Ihre Gutgläubigkeit, dass die Sachen gut ausgehen mögen, zeigt sich unter anderem an dem Tick, dass sie vor Flugreisen ein Testament verfasst und wieder zerreißt, wenn sie gut gelandet ist.

Einmal als Stein des Anstoßes ins Wasser der Erinnerung geworfen, breiten sich die Aufarbeitungskreise aus, zuerst nach Teneriffa, wo der Vater unter ungeklärten Umständen gestorben ist, und wo sie sein Urnengrab in La Laguna besucht.

Teneriffa ist wohl nur Endpunkt einer Geschichte gewesen, die einst in Wien in den hell-goldenen Sechziger Jahren begonnen hat. Die Mutter Hanna ist aus einem Kaff ausgebrochen mit dem starken Willen, keine Landpomeranze sein zu wollen. Aber die Großstadt biegt jede um, schon bald gibt es Liebe, Schwangerschaft und Kind.

Der Geliebte entpuppt sich als bereits hilflos verheirateter Mann, der fast nichts auf die Reihe kriegt. Als er beinahe ein Schloss erben soll verpatzt er es. Und auch die Mutter fasst noch einmal alle guten Sätze zusammen und verlässt die Notfamilie. Übrig bleibt das Kind Elena, das sich von der eigenen Geschichte verarscht fühlt.

In der Vorstellung der Protagonistin werden nicht nur persönliche Schicksale mit Unglücken markiert, jeder Ort ist eine Katastrophe, wenn man lange genug in seinen Annalen blättert. Teneriffa ist überlagert von einem Flugzeugunglück, der Fall Lucona bleibt zumindest als Lesestoff im Gedächtnis der Menschen, und selbst die Ostsee wird zu einer gesunkenen Fähre namens Estonia.

Der Roman entwickelt sich zwischendurch zu einem Krimi, weil erstens die Heldin mit diesem Denkmuster groß geworden ist und weil zweitens verunsicherte Menschen hinter allem ein Verbrechen befürchten. Kann sein, dass der Vater in ein kriminelles Umfeld geraten ist, kann sein, dass man beim Anblick einer Urne automatisch an Verbrechen denkt.

Erika Kronabitter erzählt angenehm distanziert von ihren Helden, die ums Verrecken nicht für die Harmonie gemacht sind. Den Fallen der triefenden Aufarbeitungsliteratur geht sie gekonnt aus dem Wege, es bleibt eine ironische Gelassenheit, mit der sich die kaputten Schnipsel vielleicht zu einem fröhlichen Bild zusammensetzen lassen.

Erika Kronabitter, La Laguna. Roman
Wien: Wortreich Verlag 2016, 226 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-903091-00-9

 

Weiterführende Links:
Verlag Wortreich: Erika Kronabitter, La Laguna
Wikipedia: Erika Kronabitter

 

Helmuth Schönauer, 06-07-2016

Bibliographie

AutorIn

Erika Kronabitter

Buchtitel

La Laguna

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Wortreich Verlag

Seitenzahl

226

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-903091-00-9

Kurzbiographie AutorIn

Erika Kronabitter, geb. 1959 in Hartberg, lebt in Feldkirch.