Felix Martin. Geld, die wahre Geschichte

„Aber die Frage der Queen – Weshalb hat keiner der Ökonomen die Krise kommen sehen? – ist einfach. Deren wichtigstes Rahmenkonzept zum Verständnis der Makroökonomie ließ den Faktor Geld außer Betracht.“ (294)

Der englische Wirtschaftswissenschaftler, Altphilologe, Anlageberater und Mitarbeiter am „Institute for New Economic Thinking“ setzt sich in seiner tiefgreifenden Analyse mit dem Wesen des Geldes und dem Verständnis von Geld in verschiedenen Kulturen im Verlauf der Geschichte auseinander. Detailliert zeigt er dabei auf, wie die führenden Vorstellungen über Geld, wie sie von John Locke und Adam Smith herausgearbeitet worden sind, zur Ursache für die großen Wirtschaftskrisen der Neuzeit bis in die Gegenwart werden konnte.

Gleich zu Beginn wird die weitverbreitete Theorie vom Geld als Tauschmittel anhand des Steingeldes auf der Pazifikinsel Yap in Frage gestellt. Die Menschen der Insel verwenden massive Steinscheiben, die „fei“, als Währungsgrundlage, die von 30 Zentimeter bis zu 3,60 Meter Durchmesser reichen können. Die unhandlichen Steinscheiben dienen aber nicht als Tauschmittel, sondern als Maßstab für den Reichtum und die Kreditwürdigkeit der Inselbewohner. Für den Ökonomen John Maynard Keynes, ließ sich am Beispiel von Yap, das grundlegende Wesen von Geld, als eine Sonderform des Kredits, erkennen.

Wieso der bedeutendste Wirtschaftswissenschaftler des 20. Jahrhunderts der Meinung war, das Währungssystem von Yap könne uns so wichtige und allgemeingültige Einsichten vermitteln, ist das Thema dieses Buches. (15)

Im weiteren Verlauf arbeitet Martin heraus, wie sich im Laufe der Geschichte die Vorstellung, dass die „Währungseinheiten lediglich Zeichen einer zugrundeliegenden Kreditbeziehung sind“ (26) immer mehr der Auffassung zuneigt, dass es sich bei Geld um eine Ware handelt, die mit anderen Waren getauscht werden kann.

Diese Vorstellung vom materiellen Wert des Geldes wird dadurch verstärkt, dass es vor allem das unverwüstliche Münzgeld ist, das durch die Zeiten überdauert hat und den Eindruck des Geldes als Tauschmittel seit frühesten Zeiten verstärkt, während andere Finanzierungsformen, wie Kredite, die in England vom 12. bis ins 18. Jahrhundert auf Kerbstöcken festgehalten wurden, in Vergessenheit geraten sind.

Der Geldwirtschaft, wie Martin anhand historischer Beispiele aufzeigt, wohnt die beachtenswerte Möglichkeit inne, sowohl die Machtausdehnung und Verschwendungssucht der Staatsmacht zu zügeln, als auch Mittel für den sozialen Ausgleich einer auseinanderdriftenden Gesellschaft bereit zu stellen.

Vor allem John Lockes theoretische Ausrichtung des Geldes als Tauschmittel, dem in Form von Gold oder Silber ein entsprechender unveränderlicher materieller Wert zukomme und Adam Smith systematische Theorie festigen, das bis heute zugrunde liegende Verständnis von Geld, mit all ihren gefährlichen und negativen Erscheinungen.

Um die geeigneten Antworten auf die Wirtschaftskrisen der Gegenwart finden zu können, ist es daher notwendig, das richtige Verständnis dafür zu finden, was Geld überhaupt ist.

Felix Martin gelingt es, das für die meisten Menschen komplexe Wesen der Finanzwirtschaft eloquent und verständlich zu vermitteln. Dabei kommt vor allem eines klar zum Ausdruck: wie das Finanz- und Wirtschaftswesen strukturiert und theoretisch fundiert ist, betrifft nicht nur eine kleine Gruppe abgehobener Wirtschaftswissenschaftler und –experten, sondern hat direkte und unmittelbare Auswirkungen auf das materielle und soziale Leben eines Jeden von uns, wie die gegenwärtige Wirtschaftskrise anschaulich vor Augen führt.

Wie mit dieser Krise grundsätzlich umgegangen werden soll und welche Chancen und Gefahren zu beachten sind, davon handelt dieses überaus spannende und lesenswerte Buch.

Felix Martin, Geld, die wahre Geschichte. Über den blinden Fleck des Kapitalismus, übers. v. Thorsten Schmidt [Orig. Titel: Money: The Unauthorized Biography]
München: DVA Verlag 2014, 432 Seiten, 23,70 €, ISBN 978-3-421-04592-8

 

Weiterführende Links:
DVA Verlag: Felix Martin. Geld, die wahre Geschichte
Homepage: Felix Martin (engl.)

 

Andreas Markt-Huter, 15-09-2014

Bibliographie

AutorIn

Felix Martin

Buchtitel

Geld, die wahre Geschichte. Über den blinden Fleck des Kapitalismus

Originaltitel

Money: The Unauthorized Biography

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

DVA

Übersetzung

Thorsten Schmidt

Seitenzahl

432

Preis in EUR

23,70

ISBN

978-3-421-04592-8

Kurzbiographie AutorIn

Der Engländer Felix Martin studierte Wirtschaftswissenschaften in Oxford und darüber hinaus Altphilologie und Internationale Beziehungen. Er arbeitete jahrelang für die Weltbank und die Denkfabrik European Stability Initiative und ist heute Anlageberater sowie Mitarbeiter am Institute for New Economic Thinking. Seine Artikel erscheinen bei Financial Times, New Statesman und New York Review of Books.