Friederike Schwab, Geburtstag mit Magritte

Um ein großes Bild zu begreifen, muss man vielleicht einen passenden Roman dazu lesen. Wenn es diesen Roman noch nicht gibt, muss man ihn schreiben.

Friederike Schwab erzählt im Roman „Geburtstag mit Magritte“ von der Heilkraft eines Bildes, das eine komplette Lebensverstörung überwinden hilft. Dabei geht es um zwei künstlerisch ambitionierte Familien in Amsterdam und Wien, die jeweils einen aufgeschlossen rationalen Lebensstil pflegen.

In Amsterdam baut Piet in einem modernen Stil an transparenten Einrichtungen wie einem Kurhotel, worin die offene Begegnungsform zur ersten Kuranwendung der Benützer werden soll. Sein Studienfreund Markus liefert von Wien aus die Inneneinrichtung, den luziden Grundton traut man ihm als barockgeprägten Österreicher vorerst gar nicht zu.

Unter dieser geschäftlichen Traglufthalle entwickeln sich auch familiäre Freundschaften, die Kids erkunden ihre erotischen Gemeinsamkeiten und Kulturtechniken. Das Leben dieser „Parade“-Familien wird in einem kühlen Allerwelts-Ton erzählt, der an die Sachlichkeit des Roman nouveau erinnert. Scheinbar emotionslos kurven die Figuren auf ihren Bahnen umeinander, befreit von Konventionen, aber dennoch soziologisch genauestens austariert.

Und hier kommt die Kunst des Magritte ins Spiel, dessen Bilder sich auch dann um menschliche Konstellationen bemühen, wenn auf dem Bild weit und breit kein Mensch zu sehen ist.

Und sehen Sie hier, das ist Magrittes letztes Bild. Konsequent setzt er die Serie ‚Das Reich der Lichter‘ fort. Ein kaum erkennbares Haus mit einem Baum, dessen Krone sich sanft im hellgrauen Himmel auflöst. Es ist unvollkommen geblieben. (178)

Gegen Mitte des Romans kommt es zur Katastrophe, die Mädchen der Familien kommen bei einem Radunfall ums Leben. Jetzt gibt die Coolness der Weltbetrachtung vielleicht einen gewissen Halt, innerlich freilich geraten die Figuren an den Rand des Aushaltbaren.

Sie zählen die Tage. […] Der Tod von Marijke und Mira funktioniert wie ein Kalender. (138)

Besonders betroffen ist Willem, der Freund der verunfallten Mira, der ihr einmal im Kröller-Museum versprochen hat, ihr einen echten Magritte zu Füßen zu legen. Als Therapie für alle wird nun dieser Magritte als Nachahmung in Auftrag gegeben, wohl wissend, dass man ihn nicht fälschen kann, weil jede Nachahmung ein Teil seines Konzeptes ist. Bei einer Gedenk- und Geburtstagsfeier kommt dann Magritte quasi zu Besuch und bietet für die Trauerarbeit ein kollektives Bewusstsein an: Das Kunstwerk gehört allen, Künstler und Betrachter sind vereint und versöhnt und können schadlos ihre Rollen tauschen.

Auch der Roman geht den Weg abseits von Genie- und Autorenkult, indem sich am Schluss der Text verselbständigt und allen gehört, die ihn lesen. – Ein spannender Gesellschaftsroman, bei dem einem die Theorien erst hintennach im Kopf aufgehen, wenn sich der Text im Leser verselbständigt.

Friederike Schwab, Geburtstag mit Magritte. Roman
Graz: Keiper 2016, 204 Seiten, 19,80 € ISBN 978-3-902901-90-3

 

Weiterführende Links:
Edition Keiper: Friederike Schwab, Geburtstag mit Magritte
Homepage: Friederike Schwab

 

Helmuth Schönauer, 10-03-2016

Bibliographie

AutorIn

Friederike Schwab

Buchtitel

Geburtstag mit Magritte

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Edition Keiper

Seitenzahl

204

Preis in EUR

19,80

ISBN

978-3-902901-90-3

Kurzbiographie AutorIn

Friederike Schwab, geb. 1941 in Graz, lebt in Graz.