Hannes Leidinger, Trügerischer Glanz: Der Wiener Kongress

Was im Windschatten hoher Tiere passiert, hat unser Land 2015 beim Gipfel im Schloss Ellmau oder bei den Atomverhandlungen mit dem Iran im Wiener Palais Coburg testen dürfen. Das Leben geht für die sterblichen Menschen weiter, wenn auch von dicken Security Cordons abgeschirmt.

Die Frage, wer ist drinnen und wer ist draußen, stellt sich auch beim Wiener Kongress 1814/1815, als man nichts anderes im Sinn hat, als die Welt neu zu ordnen. Hannes Leidinger nennt dieses Unterfangen „Trügerischer Glanz“, dabei berichtet er von den wichtigsten Ereignissen vom Gipfel, kümmert sich dann aber um das Volk, das zu dieser Zeit völlig missachtet von der Geschichtsschreibung sein Dasein fristen muss.

Der Wiener Kongress wird vor allem als rundes Ereignis mit viel Schmuck und Beiwerk geschildert, Literatur und Film greifen jeweils die tanzenden Figuren auf, weil diese einfach verdammt telegen und bibliophil rüber kommen. Die wirklichen Probleme zeigen zwei Karten, die dieser anderen Geschichte beigefügt sind. Vorne sieht man Europa, wie es 1815 am Reißbrett der Mächtigen entwickelt worden ist, hinten steht 1871 völlig umgekrempelt auf der Landkarte.

Während man drinnen vor allem um geographische Gebilde ringt, weil Landgebiete zu dieser Zeit das größte Kapital darstellen, ringen draußen die Menschen um eine neue Weltsicht, wie sie von der französischen Revolution angestoßen worden ist. Metternich dirigiert als Gastgeber für den Kongress und als Ordnungshüter für das Volk beide Hemisphären.

Außerhalb des Glanzes geht das Leben wie üblich weiter, man versteckt die Bettler vor der Öffentlichkeit, man verbringt das Proletariat hinter Bretterzäune, man schirmt die beiläufigen Hinrichtungen ab, man beginnt mit dem Bau von Anstalten, worin man alle Auffälligen versenken kann.

Die Sorgen der Reißbrett-Diplomaten sind andere: Was macht man mit Nationen wie den Polen, die überhaupt nicht mehr vertreten sind, wie legitimiert man die diversen Lobbyisten, die schon seit Jahrzehnten die Strippen ziehen, und wie kann man das Volk ausblenden und ruhig halten, ohne dass es einem zu nahe rückt.

Das Volk merkt bald, dass es bei dieser Art von Kongress nichts verloren hat. Die politischen Träumer entwickeln eine Art nationale Romantik, die Tagesträumer gehen ins Biedermeier. So erklärt es sich, dass 1871 Europa eine neue Landkarte braucht.

Hannes Leidinger blickt hinter die Kulissen der oft zum Klischee erstarten Kongress-Bilder und erzählt dabei eine andere Geschichte. Die Wahrnehmungsfallen sind überall ausgelegt, Krieg und Frieden etwa ist ein Roman, dessen buntscheckige Glorifizierung des Adels Russland noch nach hundert Jahren beschäftigt hat. Ähnlich ergeht es Deutschland (1931) und Österreich (1955) mit dem Film „Der Kongress tanzt“ und seinem Remake, worin der Wiener Kongress jeweils politisch a jour gezeigt wird. - Trügerischer Glanz ist ein Weckruf, immer genau zu schauen, wenn etwas besonders zu funkeln scheint.

Hannes Leidinger, Trügerischer Glanz: Der Wiener Kongress. Eine andere Geschichte.
Innsbruck: Haymon Verlag 2015, 328 Seiten, 24,99 €, ISBN 978-3-7099-7064-5

 

Weiterführender Link:
Haymon Verlag: Hannes Leidinger, Trügerischer Glanz: Der Wiener Kongress

 

Helmuth Schönauer, 17-07-2015

Bibliographie

AutorIn

Hannes Leidinger

Buchtitel

Trügerischer Glanz: Der Wiener Kongress. Eine andere Geschichte

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Haymon Verlag

Seitenzahl

328

Preis in EUR

24,99

ISBN

978-3-7099-7064-5

Kurzbiographie AutorIn

Hannes Leidinger, geb. 1969 in Gmunden, lehrt an der Universität Wien.