Helmut Rizy, Im Maulwurfshügel

Wer etwas von der Welt mitbekommen will, muss sich von dieser manchmal abwenden.

In Helmut Rizys Roman „Im Maulwurfshügel“ hat sich der Held von der Außenwelt verabschiedet und sich in seine Wohnung zurückgezogen. Er versucht dabei, ein strukturiert sinnvolles Leben mit sich selbst und seinen Büchern zu finden.

Die beiden letzten Kontakte sind eine etwas hoch polierte Hofratswitwe von nebenan und der Freund Fritz, der fallweise frische Schnitzel oder eleganten Schnaps zum Überleben mitbringt.

Während sich der Ich-Erzähler gleich einmal an Musils Mann ohne Eigenschaften die Daseinszähne ausbeißt, sickert seine Kurzbiographie durch. Er ist als Anwalt Rupert Mayrhofer in Ruhestand getreten und hatte es nur kurzfristig mit Frauen zu tun. Einmal ist ihm die Geliebte zu einen Anwaltskollegen übergesprungen, ein andermal hat ein Verhältnis zu einer Apothekerin dazu geführt, dass sie von einem Peruaner ein Kind bekommen hat.

Diese einfache und an die Kühnheit eines Essays erinnernde Hormonlage des erzählenden Lesers bringt ihn sofort mit der Figuren-Lage Musils auf Augenhöhe.
Beim Lesen entstehen offensichtlich zwei Geschichtskreise, jene im Text und jene im Leser. Wenn nun der Leser sich nicht vom Leben ablenken lässt und sich völlig auf das Lesen reduziert, bleibt naturgemäß der Geschichtskreis aus dem Text in besserer Erinnerung.

Der Ich-Erzähler liest sich durch seine Bibliothek der ungelesenen Bücher, die aus irgendeinem Grund noch nicht dran gekommen sind. Die Außenwelt wird mit dem eleganten Konsum-kritischen Satz abgetan:

Mir fällt nichts ein, was ich einkaufen könnte. (72)

Musil, Jorge Amado, Klaus Mann, Ernst Weiss, Sarraute, Lermontow, der durchgelesene Kanon entspricht einem literarischen Sittenbild der 68-er, die wie selten eine Generation zu einem Kanon der anerkannten Einheitsliteratur gefunden haben. Der lesende Anwalt interessiert sich vor allem für die Auswirkung der Lektüre auf das Wohlbefinden. Bei Becketts Molloy stellt er überrascht fest, dass es sich dabei fast um die eigene Geschichte handelt.

Am Schluss führt Fritz den Lesefreak noch einmal aus, es geht auf das Begräbnis eines  Freundes. Bei Jean Paul schließlich brechen die Aufzeichnungen mitten im Siebenkäs ab.

In einem Nachspann übernimmt eine Studentin, die im Haus des Anwalts gewohnt hat, als Zufallserbschaft die Bibliothek und stößt dabei auf die Mitschrift des Dauerlesers. Die Anwältin lässt sich zu diesem niederösterreichischen Weltsatz hinreißen:

Bücher ohne Regale sind wie ein Gulasch ohne Knödel. (245)

Kann Lesen zur Sucht werden wie Alkohol oder Opium? Und müssten nicht auf Büchern Warnhinweise abgedruckt sein? - Der reflektierende Held ist sich der Auswirkungen des Lesens durchaus bewusst gewesen.

Helmut Rizys witziger Lektüre-Roman über einen Untergrundleser, der sich in eine  Maulwurfshügel zurückgezogen hat, macht ungeheuer Lust, die Welt als Lese-Welt wahrzunehmen. Darin ist plötzlich alles sinnvoll in seiner unsterblichen Vergänglichkeit.

Helmut Rizy, Im Maulwurfshügel. Roman.
Wien: Bibliothek der Provinz 2013. 250 Seiten. EUR 20,-. ISBN 978-3-99028-221-2

 

Weiterführende Links:
Bibliothek der Provinz
Wikipedia: Helmut Rizy

 

Helmuth Schönauer, 24-09-2013

Bibliographie

AutorIn

Helmut Rizy

Buchtitel

Im Maulwurfshügel

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Bibliothek der Provinz

Seitenzahl

250

Preis in EUR

20,00

ISBN

978-3-99028-221-2

Kurzbiographie AutorIn

Helmut Rizy, geb. 1943 in Linz, lebt in Wien.