Isabella Breier, Allerseelenauftrieb
Das sind immer die aufregenden Texte, wenn das verspielte Erzählen selbst erzählt wird.
Isabella Breier trifft für ihren „Allerseelenauftrieb“ ein üppiges Arrangement. Quer über den Text werden Mikrophone aufgestellt, alle möglichen Datenträger zeichnen Gespräche oder Träume auf, in üppigen Sequenzen werden Fragebögen ausgefüllt und Analysen gestartet.
Das Thema besteht aus zwei Energieträgern, die ständig Stoff einspeisen. Einmal ist es die Befindlichkeit des dirigierenden Ichs und zum zweiten geht es um ein Beziehungsgeflecht (210) zu Figuren aus der Jugendzeit. Diese Heldinnen mit M-Namen lösen sich zwischendurch auf, überlappen sich und sind auch sonst in der Erinnerungsentfernung manchmal diffus.
Melike, Milena, Mavie kommen vor und fahnden, nach Welt, sich selbst. (188)
Als Handlungsstränge lassen sich Studien, Beziehungen, sexuelle Übergriffe und Straftaten ausmachen, eine Heldin ist offensichtlich nach Athen ausgewandert und hat dort einen neuen Lebensrhythmus gefunden.
Wie überhaupt die Geographie oft sehr klein-nervig ist, ein kleiner Bach in der Nähe der Bezirksstadt Horn kann eine spezifische Fauna der Erinnerung auslösen, eine Fahrt auf der Westautobahn wird durch die entsprechenden Musikstücke gecuttet, und weite Überlandflüge schrumpfen auf die Erotik des Stewards zusammen, der in der engen Kabine gefrorenen Fisch serviert.
Das Erzählen selbst häutet sich auf jeder Seite, manchmal wird nach einer Meta-Ebene gefragt, wenn es sich bei Fragebögen etwa um eine Diplomarbeit handelt, die nur vage mit der Realität verknüpft ist. Breiten Raum nehmen die jeweiligen Aufnahmen und Dokumentations-Rituale ein, so wie das Erzählen aus dem Willen zum Erzählen besteht, dokumentieren die Aufnahmen und Aufzeichnungen vor allem den Willen zur Dokumentation.
Den Träumen kommt dabei jeweils eine Schlüsselfunktion zu. Wie in der Meditation muss man vielleicht lernen, im Traum den Inhalt zu steuern.
Echt ist die nächste Traumsequenz. Lebensecht, überlebensgroß ihr Tag. Aber seine Wirklichkeit bleibt zurück, hinterm Präsens. (64)
Die einzelnen Anschnitte des Erzählens sind oft als echte Kapitelüberschriften ausgeführt, manchmal sind es Zeitangaben, wie „zwanzig Uhr“, dann wieder Inventarisierungsversuche wie „Melike / Woche fünf“.
Das erzählende Ich hat für sich selbst eine eigene Zeiteinheit geschaffen, es geht um das Auf und Ab einer großangelegten Gemütsverfassung. Dabei spielt der Allerseelenauftrieb eine gestaltende Rolle, wo allgemein die Herbstdepression ausbricht, lässt sich hier vielleicht ein Aufschwung der Stimmung konstruieren.
Einen barocken Altar konstruiere ich: meinen übernächsten Allerseelenauftrieb. (208)
Isabella Breiers Klartraumprotokoll (in einem Alternativ-Satz auch Klarraumprotokoll genannt) fügt eine Gegenwart zusammen, die unter mannigfaltiger Spannung steht. Die Stimmen sind symphonisch austariert und führen zu einem authentischen Erinnerungston, der sich in jeder Sekunde verändert.
Isabella Breier, Allerseelenauftrieb. Ein Klartraumprotokoll.
Wels: Mitterverlag 2013. 221 Seiten. EUR 22,-. ISBN 978-3-9503157-6-9.
Weiterführende Links:
Mitterverlag: Isabella Breier, Allerseelenauftrieb
Literaturport: Isabella Breier
Helmuth Schönauer, 12-02-2014