Johannes Gelich, Wir sind die Lebenden

Manche Lebensformen sind so überzeugend, dass sie in jeder Generation neu erarbeitet und erzählerisch aufgetischt werden müssen. Eine dieser edlen Überlebensphilosophien ist der Oblomowismus, worin der Held mehr oder weniger im Bett liegend das Leben bewerkstelligt und zu Ende bringt.

Johannes Gelich schickt in seinem Roman einen zeitgenössischen Ich-Erzähler aufs Kanapee und in den Rollstuhl. Er ist knapp über vierzig und gehört der Erben-Generation an. Seine Eltern haben ihm und seiner Schwester jeweils eine Hälfte eines Doppelmietshauses vererbt, während die Schwester ihren Teil in Schuss hält, lässt der Erzähler seinen vergammeln, weshalb er anteilsmäßig entmündigt werden soll.

Auch sonst ist der Held Mucki, wie er von Nepomuk abgeleitet in Insider-Kreisen genannt wird, ein ziemlich skurriler Typ. Selbstverständlich  wohnt er in einer demütigenden Parterre-Wohnung. Seit er nach dem Atomunfall in Japan Überlebenspakete kaufen wollte, dabei gestürzt ist und sich ein Bein kaputt gemacht hat, verbringt er die Zeit liegend oder im Rollstuhl.

Er hat jede Menge Beschwerdebriefe geschrieben, etwa warum es beim Einkaufswagen keine Schlitze für 50-Cent-Münzen gibt oder warum die Post schläft, statt einen zweiten Schalter aufzumachen. Letztlich haben sich auch die Mieter in seinem Haus zusammengerottet und wollen gegen ihn vorgehen.

Der Held freilich lässt sich von einer rumänischen Zugehfrau pflegen, als diese kurz ausfällt, übernimmt die Pflege deren im Gesicht halbseitig gelähmte Nichte, mit der er zwischendurch lethargischen Sex pflegt.

Als er am selben Tag Geburtstag feiern muss und ihm der Gips abgenommen wird, empfindet er beides als sehr erniedrigend, denn er hasst jegliche Form der Mobilität. Liegend nämlich hat Mucki allerhand Diagnosen über die Zeitgenossen erstellt:

Die Leute legen ihr Geld auf den Bahamas an, lesen am Abend Schafkrimis und dann reden sie von Tradition. (34)

In einer Diskussion mit Gleichaltrigen wird resümiert, dass es keine echte Arbeit für die Vierzigjährigen gibt, wer nichts geerbt hat, endet im Prekariat.

Alle tun so, als gäbe es so klare Regeln wie beim Schach. Wir sind die Lebenden, das ist die Hauptsache. (80)

Dem Helden wird zwischendurch ganz übel, wenn er daran denkt, dass er sich noch dreißig Jahre mit dem Geschlechtstrieb herumschlagen muss, dabei hat niemand in seiner Generation die Eier, auch noch Kinder in die Welt zu setzen. (144)

Im Oblomowismus gibt es keine Handlung mit Zug sondern nur Kreisverkehr, und vor allem Entscheidungen sind bei dieser Denkhaltung lebensgefährlich. „Ich möchte abwarten, bis ich mich entschieden habe“ lautet daher das einzige Konzept.

Johannes Gelichs Sittenroman ist trotz des scheinbar lethargischen Themas eine aufregende Angelegenheit, fast schon ein Krimi, der als Genre freilich im Roman durchgehend gehasst und verhöhnt wird.

Johannes Gelich, Wir sind die Lebenden. Roman.
Innsbruck: Haymon 2013. 240 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-7099-7030-0.

 

Weiterführende Links:
Haymon-Verlag: Johannes Gelich, Wir sind die Lebenden
Wikipedia: Johannes Gelich

 

Helmuth Schönauer, 18-03-2013

Bibliographie

AutorIn

Johannes Gelich

Buchtitel

Wir sind die Lebenden

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Haymon-Verlag

Seitenzahl

240

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-7099-7030-0

Kurzbiographie AutorIn

Johannes Gelich, geb. 1969 in Salzburg, lebt in Wien.