Johannes J. Voskuil, Das A.P. Beerta-Institut. Das Büro 4

Hinter dem lauernden Begriff „Büro“ verbirgt sich einer der größten Romane der internationalen Literaturgeschichte. Das Büro ist ein Kosmos voller Widersprüche, ein Ort vollkommenen Stillstands und eruptiver Lebensführung, ein Archiv, das Gegenstände aus dem Futur bearbeitet, ein kleingeistiges Emotionslabor, in dem die größten Freigeister ihren Gedanken nachgehen.

Johannes J. Voskuils „Büro“ lässt sich wie alle Giga-Romane durchgehend lesen, man kann aber wie in einer Endlosschleife überall zusteigen und liegt immer richtig. Der Plot der sieben Bände zu je tausend Seiten ist raffiniert einfach wie ein DNA-Bauplan. Der Protagonist Maarten Koning stellt sich eines Tages in einem Volkskunde-Institut vor, wird auf der Stelle genommen und kommt ein Leben lang nicht mehr aus dem Büro heraus.

Der vierte Band, „Das A.P. Beerta-Institut“, spielt zwischen 1975 und 1979. Der aktuelle Zeitgeist kommt nur verschlüsselt in das Institut, zumal dieses sich gerade darum rauft, ob man aus einer bestehenden Fachzeitschrift aussteigen oder eine neue gründen soll. Personalia sind überhaupt das Kerngeschäft eines ordentlichen Büros, geht es doch in erster Linie darum, die anwesenden Büro-Menschen mit einem erträglichen Klima auszustatten, erst in zweiter Linie geht es um Arbeit, Inhalt oder Stoff. So übernimmt der Held Maarten manchmal zusätzliche Arbeit, um sie nicht einem anderen zu überlassen, der damit an falscher Stelle punkten könnte.

Die Kernzone des Büros ist um diese Zeit der Eingangsbereich, wo die Namen der eintreffenden Beamten in die Anwesenheitsliste umgesteckt werden. Maarten sitzt manchmal an diesem Namensschalter, um alles zu kontrollieren und gleichzeitig ein bisschen Smalltalk zu pflegen, der meist nahtlos in eine wissenschaftliche Haarspalterei übergeht. Das Damoklesschwert einer Stechuhr liegt in der Luft und bedroht die fugitiven Arbeitskräfte mit starkem Anwesenheitsdruck.

Das sogenannte Fachliche besteht meist aus Randproblemen der Gesellschaft, auf Kongressen, in wissenschaftlichen Aufsätzen und manchmal auch in einem persönlichen Brief wird diskutiert, weil es meist um Kränkung und verlorene Ehre geht, wenn man so ein Randthema wie das „Liedgut der ostdeutschen Flüchtlinge“ erforscht.

Manchmal kommt etwas Politik in das Institut, wenn etwa Radio gehört wird und in den Nachrichten vom Lockheed-Skandal des Prinzen Bernhard die Rede ist. Schnell wird erörtert, wer Monarchist und wer Republikaner ist, ehe man sich wieder der Wissenschaft zuwendet.

Das Büro wird ständig bedroht und eingekreist von Privatem. Nicht nur, dass bei jeder Gelegenheit jemand imaginäres Fieber entwickelt und krank zu Hause bleibt und sich so dem Büro entzieht, auch den Institutsleiter erwischt es zu Beginn des vierten Bandes mit einem Schlaganfall. Jetzt liegt er erbärmlich von Sprachstörungen gezeichnet im Pflegeheim und versucht, mit einem Finger etwas zu tippen wie in früheren Zeiten.

Auch Maarten bekommt zwischendurch Traurigkeitsschübe, die er dem Tagebuch anvertraut. Oder er steht mit dem Fernglas am Fenster und schaut einem Vogelpaar im Geäst zu, das anderntags tot sein wird. Seine Frau hat Raupen aus dem Garten gesammelt und bittet ihn, auf dem Weg ins Büro diese auszusetzen. - Das Büro muss wirklich für alles herhalten und kein Ende ist abzusehen.

Johannes J. Voskuil, Das A.P. Beerta-Institut. Das Büro 4, Roman, a. d. Niederl. von Gerd Busse. [Orig.: Het bureau 4; Het A.P. Beerta-Instituut, Amsterdam 1998]
Berlin: Verbrecher Verlag 2015, 1071 Seiten, 29,90 €, ISBN 978-3-95732-009-4

 

Weiterführende Links:
Verbrecher Verlag: Johannes J. Voskuil, Das A.P. Beerta-Institut. Das Büro 4
Wikipedia: J. J. Voskuil

 

Helmuth Schönauer, 12-08-2016

Bibliographie

AutorIn

Johannes J. Voskuil

Buchtitel

Das A.P. Beerta-Institut. Das Büro 4

Originaltitel

Het bureau 4; Het A.P. Beerta-Instituut

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Verbrecher Verlag

Reihe

Das Büro, Bd. 4

Übersetzung

Gerd Busse

Seitenzahl

1071

Preis in EUR

29,90

ISBN

978-3-95732-009-4

Kurzbiographie AutorIn

Johannes J. Voskuil, geb. 1926, schied am Tag der Arbeit 2008 freiwillig aus dem Leben.