Judith W. Taschler, Die Deutschlehrerin

Die biographischen Tücken liegen bei Alltagsheldinnen meist unter einer glatt gestrichenen Oberfläche verborgen, es bedarf nur einer kleinen Erschütterung, und schon bricht alles auf.

Judith W. Taschler startet ihren Roman vom unauffälligen Leben einer Deutschlehrerin mit den Ritualen einer germanistischen Biographie.

Der erfolgreiche Jugendbuchautor Xaver Sand wird von der Deutschlehrerin Mathilda Kaminski zu einer Schreibwerkstatt an das Gymnasium der Innsbrucker Ursulinen eingeladen. Was wie eine germanistische Dienstveranstaltung beginnt, entpuppt sich bald als eine sensible Tragödie aus dem Lebensprogramm Beziehungskiste.

Der Autor und die Deutschlehrerin haben sich beim Studium in Innsbruck kennengelernt und über die Kurve von Arthur Schnitzlers Reigen gleich zu sich selbst gefunden. Fünfzehn Jahre waren sie ein halb-erfolgreiches Paar, dann gibt es statt der erwarteten Kinder eine Flucht des Dichters.

Ihr ganzer Körper schrie nach einer Schwangerschaft. (23)

Die scheinbar alltägliche Geschichte wird dadurch zerfranst und durchlässig für Spekulationen und Wahnvorstellungen aller Art, als sich das dienstliche Gehabe einer Schreibwerkstatt mit der fiktionalen Handhabung von Stoff vermischt.

Jetzt nach abermals fast fünfzehn Jahren bricht zwischen Mathilda und Xaver die alte Geschichte wieder auf und die Missverständnisse sollen erklärt und dadurch ausgeräumt werden. Das Leben der beiden Protagonisten ist natürlich weiter gegangen, die Deutschlehrerin hat einen veritablen Nervenzusammenbruch erlitten, der Autor hat eine Reserve-Geliebte geheiratet und sofort ein Kind gezeugt, das allerdings plötzlich verschwunden ist.

Jetzt übernimmt die Deutschlehrerin die Rolle der Rächerin und Aufklärerin, sie bearbeitet den Dichter mit Vermutungen und Fiktionen, dass dieser unter der Gewalt dieser Geschichten zusammenbricht und bei der Polizei ein Teilgeständnis betreffs „verschollenes Kind“ ablegt.

Am Schluss stirbt die Heldin an Krebs und die Schülerinnen schreiben als Teil einer Schreibwerkstatt herzergreifende Nachrufe.

Judith W. Taschler spielt elegant mit der Welt des Unterrichts und des germanistischen Bildungsromans, und thematisiert das didaktische Getue bei Werkstatt-Lesungen und den Kult um erfolgreiche Jugendbuch-Autoren. Der SMS-Verkehr schrammt wie bei Daniel Glattauer stets an der Spam-Grenze entlang, das Kind heißt wie alle germanistischen Kinder-Figuren Jakob, die Helden sind Endprodukte von Sippschaften, die aus der Mythologie der korrekten Unterhaltungsliteratur entstiegen sind.

Nicht nur die Figuren sind sich unsicher, was Erfindung ist und was Wirklichkeit, auch der Leser ist hin und hergerissen zwischen dem oft schwermütigen Germanisten-Kosmos und der Leichtigkeit seiner Verhöhnung. Der Roman um die Deutschlehrerin ist Karikatur und Huldigung eines schwermütig machenden Berufs in einem. – Feine Ironie begleitet das fast atemlose Durchhalten im angewandten Literaturbetrieb.

Judith W. Taschler, Die Deutschlehrerin. Roman.
Wien: Picus 2013. 222 Seiten. EUR 21,90. ISBN 978-3-85452-692-6.

 

Weiterführende Links:
Picus-Verlag: Judith W. Taschler, Die Deutschlehrerin
Homepage: Judith W. Taschler

 

Helmuth Schönauer, 13-02-2013

Bibliographie

AutorIn

Judith W. Taschler

Buchtitel

Die Deutschlehrerin

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Picus-Verlag

Seitenzahl

222

Preis in EUR

21,90

ISBN

978-3-85452-692-6

Kurzbiographie AutorIn

Judith W. Taschler, geb. 1970 in Linz, lebt in Innsbruck.