Ludwig Laher, Überführungsstücke

Die große Welt leistet sich oft kleine Nischen, in denen sie in einer einzigartigen Anordnung ihre Geheimnisse zur Schau stellt. Das kann die berüchtigte Glasmenagerie sein, worin sich die Psyche der Sammlerin spiegelt, das Kramuri-Museum am Innsbrucker Bergisl, worin die Geschichte Tirols als Devotionaliensammlung angeordnet ist, oder eben eine Asservatenkammer, worin Stücke des Schreckens und der alltäglichen Kriminalität für die Hauptverhandlungen am Gericht aufbereitet werden.

Ludwig Laher lässt nach einem Fünfzeiler von Konrad Bayer, wonach alles etwas Andres bedeuten kann, ziemlich wortgewaltig und auf barocke Ausschweifungen fokussiert einem Asservaten-Beamten freien Lauf. Allein das Wort „asservieren“ (für amtlich bewachen) zeigt, dass der Held Oskar Brunngraber mit großer Hingabe alles auf der Welt betreuen kann, wenn es gewünscht wird.

Im ersten Teil erleben wir Brunngraber in seinem amtlichen Element. Er räsoniert seitenlang über das Zeiterfassungsgerät, das einerseits jeden Beamten in die Knie zwingt, weil er sich der Amtszeit unterwerfen muss, andererseits große Freiheit schafft, denn in der Amtszeit gelten eigene Gesetze.

Großen Raum nicht nur in den Regalen nehmen die Rausch- und Betäubungsmittel ein, die leider allzu oft vernichtet werden müssen. Auch NS-Devotionalien müssen manchmal dran glauben und kommen in den Schredder, sogar um sie scheint es schade zu sein. Ein Teil der Darlegung widmet sich Raritäten wie einem falschen Blaulicht oder einem Würgeholz, des entwürdigend zum Einsatz gekommen ist.

Im zweiten Teil ist so etwas wie Mittagspause. Brunngraber fährt mit seinem Sermon fort und isst nebenbei Raritäten, von denen er am liebsten einiges in seiner Asservatenkammer ausstellen würde.

Im dritten Teil folgen die Zuhörer dem quasselnden Beamten in das Kernstück der Kammer, „ich wechsle inzwischen zurück in meine Amtsidentität“ (79). Auf gut hundertvierzig Quadratmetern ist alles bestens gestapelt und geordnet. Größere Dinge, wie beschlagnahmte Drogenkurier-Fahrzeuge oder eine umgebaute FLAK, finden sich natürlich an einer Außenstelle wieder.

Offensichtlich nach Dienstschluss sitzen wir bei Brunngraber auf dem Dachboden. „Bibliothekar bin ich nur bei mir zuhause auf meinem großzügig ausgebauten Dachboden.“ (85) Hier wimmelt alles von privaten Erinnerungen an Oma, Opa und andere Vorfahren, endlich kommen auch die Überführungsstücke zum Vorschein, die anlässlich einer Überführung eines Lebenden zu einem Toten abgefallen sind und ein wenig an Vorlässe von zeitgenössischen Schriftstellern erinnern.

Der Erzähler berichtet von seinen privaten Lektüren, mit Trakl hat er seinerzeit angefangen, und zitiert sogenannte „Sprachsolitäre“, die jemand sagt, wenn bei einem Germanisten große Freude entstehen soll. Die Grenzen zwischen amtlich und privat sind nicht mehr zu ziehen. Was soll man auch machen, wenn man die Schuhe seines toten Bruders asservieren muss, der durch einen Stromunfall bei der Bahn ums Leben gekommen ist? (155)

Gerade als wir Leser uns fragen, ob das ganze vielleicht ein Theaterstück ist oder ob jemand aus der Psychiatrie heraus uns sein Leben zusteckt, geraten wir ins letzte Kapitel. Wem erzähle ich das alles und wozu überhaupt? – Seine Frau schrickt aus dem Schlaf, und er dreht sich um. Vielleicht ist es gar ein Beamtentraum, den jemand in der Dienstzeit herunterschläft?

Überführungsstücke sind eine große Belohnung für jeden, der sich nur einen Hauch lang für elegante Bürokratie interessiert.

Ludwig Laher, Überführungsstücke. Roman
Göttingen: Wallstein Verlag 2016, 176 Seiten, 20,50 €, ISBN 978-3-8353-1876-2

 

Weiterführende Links:
Wallstein Verlag: Ludwig Laher, Überführungsstücke
Wikipedia: Ludwig Laher

 

Helmuth Schönauer, 11-08-2016

Bibliographie

AutorIn

Ludwig Laher

Buchtitel

Überführungsstücke

Erscheinungsort

Göttingen

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Wallstein Verlag

Seitenzahl

176

Preis in EUR

20,50

ISBN

978-3-8353-1876-2

Kurzbiographie AutorIn

Ludwig Laher geb. 1955 in Linz, lebt in St. Pantaleon und Wien.