Matthias Politycki, Samarkand Samarkand

Manche Titel verströmen Magie und wirken wie eine Zauberformel. „Samarkand Samarkand“ reißt den Leser quasi durch den Umschlag in den Text hinein.

Matthias Politycki wendet sich in seinem Roman einer der ältesten Kulturgegenden der Welt zu. Es gibt sogar die These, dass alle Veränderungen der Welt aus diesem von Gebirge und Wüsten eingekesselten Samarkand ausgehen, vielleicht weil dort die wertvollsten Gräber und Gebeine für alle Zukunft aufbewahrt werden.

In einer Fortspiegelung der gegenwärtigen Zustände Afghanistans, Usbekistans oder Turkmenistans macht sich in den Jahren 2026 aufwärts der deutsche Gebirgs-Agent Alexander Kaufner auf den Weg, eine geheimnisvolle Kultstätte zu dokumentieren, um aus der Grabstätte vielleicht so etwas wie eine (deutsche?) Herrschaftslegitimation der Zukunft abzuleiten.

Die Welt nämlich steht wieder einmal Kopf, wir sehen anschaulich, was aus der gegenwärtigen Afghanistan-Mission der Nato herausgekommen ist. Im Jahre 2026 haben sich alle ehemaligen Sowjetreiche zu einer neuen Konföderation zusammengeschlossen, die DDR ist wieder errichtet, der Osten Deutschland somit ein zweites Mal befreit, wenn es nach der Lesart der Ostler geht.

Kaufner entkoppelt sich bald von seinen anonymen Auftraggebern und reist als zweiter Heinrich Harrer ins Gebirge, umgeben nur von den wichtigsten Menschen, einem jungen Bergführer und einer Geliebten, die praktischerweise in die Zukunft schauen kann.

Allmählich verkürzt sich die Welt für den Helden auf Mythologien, Gebirge und Notbetrieb des Tagesablaufs. Es kommt zu Überfällen, die Mission spielt sich manchmal in Karl-May-Manier ab, ehe sich dann ein militarisiertes Pilgerzentrum auftut, das sich als Weiterentwicklung der mittelalterlichen Geschichte zeigt. Hier könnten auch die Knochen des berühmten Timur endgelagert sein, der als usbekischer Nationalheiliger im 14. Jahrhundert eine Art Mongolenreich wiederhergestellt hat.

Die Lage verdichtet sich für Kaufner ständig, so dass er letztlich eingekesselt in sich selbst ohne Auftrag dem Gebirge überlassen ist. Das „Tal, in dem nichts ist“ gibt ihm offensichtlich den Rest. Sein Bergführer nämlich stürzt sich in die Tiefe und bittet wohl um den Gnadenschuss, die Zukunftsvisionen der Geliebten gehen eindeutig Richtung schrecken, am Schluss blickt der Held durch das Zielfernrohr in eine leere Zukunft.

Matthias Polityckis Roman spielt anhand eines leer gelaufenen Felsen-Gehers die Entwicklung der politischen Systeme der Gegenwart durch. Wenn seit Jahrtausenden die Geschichte der Welt in Samarkand geschrieben wird, warum nicht auch die Zukunft. Blauhelme sichern vergeblich Grenzen, die nur den einen Sinn haben, einen guten Zaun „in Schuss zu halten“. „Der Soldat ist die Blume der Gesellschaft“, liegt als Steinschrift im Gelände ausgelegt. Überall werden die Machtverhältnisse neu geklärt. (270)

Die Welt wird offensichtlich trotz aller technischen und elektronischen Fortschritte in Richtung Steinzeit gebeamt, folglich ist Samarkand wieder das Zentrum der Zukunft. – Ein abenteuerlich politischer Zukunftsroman.

Matthias Politycki, Samarkand Samarkand. Roman.
Hamburg: Hoffmann und Campe 2013. 397 Seiten. EUR 23,60. ISBN 978-3-455-40443-2.

 

Weiterführende Links:
Hoffmann und Campe, Matthias Politycki, Samarkand Samarkand
Wikipedia: Matthias Politycki

 

Helmuth Schönauer, 13-12-2013

Bibliographie

AutorIn

Matthias Politycki

Buchtitel

Samarkand Samarkand

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Hoffmann und Campe

Seitenzahl

397

Preis in EUR

23,60

ISBN

978-3-455-40443-2

Kurzbiographie AutorIn

Matthias Politycki, geb. 1955, lebt in Hamburg und München.