Norbert C. Kaser, herrenlos brennt die sonne

Wenn sich eine Lese-Gesellschaft einmal dafür entschieden hat, einen Klassiker auszurufen, dann muss dessen Status immer wieder überprüft und müssen seine Texte für jede Generation zugänglich gemacht werden.

Norbert C. Kaser ist verdientermaßen ein Klassiker, er hat die Südtiroler Literatur zum Leben erweckt und mit seinem klaren Furor dem Land mehr Selbstbewusstsein geschenkt als alle Landeshauptleute zusammen.

Seine Zeitgenossen sind mittlerweile in Pension, in den Schulen wird Kaser schon als Mythos unterrichtet mit der Haymon-Taschenbuch-Ausgabe, die mittlerweile die Funktion von alten Reclam-Bändchen übernommen hat.

Im Vorwort streifen Petra Nachbauer und Benedikt Sauer die Lebensumstände und das heroisch-kurze Leben Kasers. Die Biographie kann sich in ihrer Verknappung durchaus mit jener von James Dean oder Hölderlin messen, wobei natürlich Orte wie Brixen, Bruneck oder Flaas der lyrischen Landkarte das Schmatzen von Orten des amerikanischen Mittelwestens unterlegen.

Die Textauswahl streift markante Kaser-Genres wie Psalm, Litanei oder Kalendergeschichte und läuft als chronologisch geordnetes Lesebuch vor den Augen des Lesers ab. Da kein Gedicht- und Inhaltsverzeichnis angelegt ist, soll der Leser darauf hingewiesen werden, dass man sich für das Zitieren und Arbeiten an die Werkausgabe halten soll.

Dieser Reader hier ist etwas für die Schule und das Herumlungern on the road. Für beide Bühnen sind Kasers Texte bestens geeignet, zum einen, weil er sich immer wieder Gedanken über Schul-Texte gemacht hat, zum anderen weil er in seinem Herumirren durch das lyrische Inventar eines Suchenden durchaus Züge eines Beatniks hat.

Je mehr mittlerweile die Grammatik einer Sprache zu einem App verkürzt wird, umso hellsichtiger empfindet man die Versuche Kasers vor vierzig Jahren, die Südtiroler Alltagssprache als grammatische App für den Tagesgebrauch herunterzuladen. Südtiroler Ausrufe beim Konjugieren eines Hilfszeitwortes:

„haette là gitun“ / „hoi wos tiatasen“ (88).

Manche Gedichte stehen jahrhundertschwer wohl noch Jahrhunderte lang in den Lesebüchern wie

die laereche // gerne waer ich eine laerche / mueßte nicht trinken / nix rauchen / nicht mich brauchen zu bewegen / nur bewegen lassen / […] (160).

Manchmal kriegt ein Text nach fast einem halben Jahrhundert eine neue Bedeutung, wie jener vom Grünen Papst, der bei Kaser einer ganz frisch hinter den Ohren ist, der aber als aktueller Papst durchaus auch als sozial-Grüner auftaucht.
Norbert C. Kasers Gedichte lassen sich nur bedingt vom jeweiligen Lesepublikum oder Schulsystem vereinnahmen, auch für seine Texte gilt die lyrische Inschrift: „Herrenlos brennt die Sonne“.

Norbert C. Kaser, herrenlos brennt die sonne. Gedichte und Prosa. Hrsg. Von Petra Nachbauer und Benedikt Sauer.
Innsbruck: Haymon 2013. (=TB 136). 175 Seiten. EUR 9,95. ISBN 978-3-85218-936-9.

 

Weiterführende Links:
Haymon-Verlag: Norbert C. Kaser, herrenlos brennt die sonne
Wikipedia: Norbert Conrad Kaser

 

Helmuth Schönauer, 08-05-2013

Bibliographie

AutorIn

Norbert C. Kaser

Buchtitel

herrenlos brennt die sonne. Gedichte und Prosa

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Haymon Verlag

Herausgeber

Petra Nachbauer / Benedikt Sauer

Seitenzahl

175

Preis in EUR

9,95

ISBN

978-3-85218-936-9