Picus-Verlag: Erich Hackl / Evelyne Polt-Heinzl (Hg.): Im Kältefieber

Der Österreicher ist ein begeisterter Kaiser-Fan, SUV-Driver und Schifahrer, da hat er es nicht gern, wenn er an Diktatur und Bürgerkrieg erinnert wird.

Anlässlich 80 Jahre Österreichischer Bürgerkrieg haben Erich Hackl und Evelyne Polt-Heinzl ein Lesebuch zu den Februartagen 1934 herausgebracht. Nicht nur der „Termin“ des Bürgerkrieges wird geflissentlich verdrängt, auch die Texte darüber sind längst unter der Staubschicht des österreichischen Vergessens von der Gegenwart abgeschottet.

Unter den Kapitelüberschriften  „In Bereitschaft / Es schießt / Vier Frauen und ein Polizist / Das rote Herz der Provinz / Jenseits der Donau / Vorbei nicht vergangen / In achtzig Jahren“ werden Sequenzen ausgehoben, die von der Niederschlagung des Aufstands der Arbeiterschaft und des Republikanischen Schutzbundes durch Heimwehrverbände und Militär berichten.

So schreibt der kommunistische Moskau-Redakteur Ilja Ehrenburg 1934 in einer Prager Zeitung über jene Schichten, die gerne einen Bürgerkrieg hätten, und zählt sie dann makaber genau auf:

Sie griffen an: Die gebrechlichen Generale, Großgrundbesitzer, Tiroler Großbauern, Jesuiten, die Banden der Heimwehr, die Patrioten, die ihre Löhnung in italienischer Lire empfingen […] (21)

Und am anderen Zeitzipfel des Bürgerkrieges versetzt sich Miroslav Krelka 1934 in die Situation, wie man wohl in achtzig Jahren (also in der Gegenwart) über den Bürgerkrieg empfinden wird. Und er sieht schwarz, weil man sich in Wien immer nur an Bälle, Kaiserbälle, Opernbälle erinnert. Angesichts der gegenwärtigen Burschenschafts-Bälle eine groteske Vision unter dem Titel „Wiener Variationen“. (308)

In der Einstimmung auf das Gedächtnislesebuch erklärt Erich Hackl, warum dieses Buch geradezu lebensnotwendig für das aufgeklärte Bewusstsein ist. Nach achtzig Jahren nämlich verlischt das zeitgenössische Gedächtnis und alles geht in einen Kram von Quellen und Historiographie über.

Der Freiheitskampf 1934 wird bereits zunehmend mit Anführungszeichen geschrieben und somit relativiert, wenn er nicht gar zum Klamauk reduziert wird wie etwa in Franzobels Stück „Hunt“. Dabei findet der Kampf gegen den Faschismus in Österreich als erstem Land statt, noch lange vor Spanien. Und die Sozialdemokratie als Nachfolgerin der geschlagenen Partei hat diesen Kampf als Erbe vollends abgestoßen.

Aber auch die Texte haben es nicht leicht, sie werden von den Germanisten in ihrer Fetischisierung der literarischen Qualität ins Eck von Gebrauchstexten gestoßen, dabei haben die Texte durchaus eruptive Qualität, wie unter anderem Jean Amery, Ulrich Becher, Melitta Breznik, Michael Guttenbrunner, Franz Kain, Anna Seghers oder Jura Soyfer beweisen.

Im Kältefieber ist ein wichtiger Erinnerungsband, der an das historische Gedächtnis der Österreicher appelliert, die österreichische Welt nämlich besteht auch 2014 nicht nur aus Schifahren und SUV.

Erich Hackl / Evelyne Polt-Heinzl (Hg.), Im Kältefieber. Februargeschichten 1934.
Wien: Picus 2014. 330 Seiten. EUR 22,90. ISBN 978-3-7117-2009-2

 

Weiterführender Link:
Picus-Verlag: Erich Hackl / Evelyne Polt-Heinzl (Hg.): Im Kältefieber

 

Helmuth Schönauer, 06-02-2014

Bibliographie

AutorIn

Ilja Ehrenberg / Miroslav Krelka u.a.

Buchtitel

Im Kältefieber. Februargeschichten 1934

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Picus Velag

Herausgeber

Erich Hackl / Evelyne Polt-Heinzl

Seitenzahl

330

Preis in EUR

22,90

ISBN

978-3-7117-2009-2

Kurzbiographie AutorIn

Erich Hackl, geb. 1954 in Steyr, lebt in Wien und Madrid.<br />Evelyne Polt-Heinzl, geb. 1960, lebt in Wien.