Piersandro Pallavicini, Erben auf Italienisch

Spätestens seit der Komödie Scheidung auf Italienisch hat das Qualitätsmerkmal „italienisch“ etwas von pfiffig, pragmatisch und alltagskonform. Erben auf Italienisch ist also ein Vorgang, bei dem die Beteiligten klug auf den eigenen Vorteil achten.

Piersandro Pallavicini kümmert sich in seinen Romanen vorwiegend um jene Altersklasse, die kurz vor dem Sterbebett noch einmal die Sau rauslässt. Nach dem grandiosen „Ausfahrt Nizza“, wo durchgegraute Protagonisten mit viel PS und Getränken alles bis zum Morgengrauen geklärt haben, kommt in „Erben auf Italienisch“ ein Industrieller ins letzte Scheinwerferlicht des Daseins. Die einen halten ihn für dement, die anderen für gefährlich.

Der Ich-Erzählerin geht das Treiben ihres wild gewordenen Vaters ziemlich auf den Geist, zumal zu befürchten ist, dass für die Erbschaft nicht mehr übrig bleibt, wenn der Vater so weitermacht. Zusammen mit Vater und Bruder sitzt sie deshalb beim Notar, und lässt sich Stadtwohnung in Mailand und Villa im Bergdorf überschreiben.

Überraschend ist die Gender-Quote der Überschreibung, der Bruder kriegt sechzig Prozent des Vermögens, weil er ein Mann ist und zwei Kinder hat, die Erzählerin bloß vierzig, weil sie eine Frau ist und bloß einen Sohn hat. Eigentlich streitet der Vater beim Notar bloß darüber, ob dieser oder sein Vorgänger das größere Arschloch ist. Der Bruder stiehlt daraufhin die Unterschriftenfüllfeder, was prompt eine polizeiliche Ermittlung auslöst.

Beim Aufarbeiten und Verteilen der Besitztümer kommt eine skurrile Karriere zum Vorschein. Vater hat immer schon getrickst und geschummelt, das Vermögen ist aus diffusen Machenschaften entstanden und eigentlich wollte der schrullige Industrielle bloß Gunther Sachs nacheifern und mit ihm einen Film drehen.

Den Kids hat es an nichts gefehlt, über ihre Kleidung und Musiksammlung erzählen sie eine Kulturgeschichte der sechziger Jahre. Wie es Kindern von Reichen oftmals geschieht, haben sie es erst nach vielen Irrtümern und krummen Ausritten geschafft, halbwegs eine Identität zu schaffen.

Die Erzählerin ist dann doch noch Chemikerin geworden und versteht sich mit ihrer Lebensfreundin so gut, dass die beiden den ganzen Roman lang nicht voneinander ablassen, zumindest in Gesprächen nicht. Abstracts ist etwas für Faule, kritisieren die beiden die Wissenschaft, dennoch erzählen sie einander ihr Leben meist in Abstracts.

Skurril wie das Leben des Alten ist auch sein Tod. Im Bergdorf beginnt er mit Olivenkernen auf die Bewohner zu schießen, einem Hirten ist das schließlich zu viel und er erschießt ihn. Die Kinder entdecken nun das wahre Vermögen und betrügen einander so gut es geht, auch das gehört zum Erben auf Italienisch.

Piersandro Pallavicinis Roman erzählt zwar ein ausgefallen groteskes Lebensmodell in betuchten Kreisen, die Grundstimmung aber, dass geglücktes Altwerden und Sterben erst einmal gelernt werden muss, trifft alle Schichten. Im Gegenteil, wer nichts hat, tut sich leichter beim Loslassen. Besitz macht nur einen blöden Kopf.

Piersandro Pallavicini, Erben auf Italienisch. Roman. A. d. Ital. von Karin Fleischanderl. [Orig.: Une commedia italiana, Mailand 2014].
Wien, Bozen: folio 2015, 304 Seiten, 22,90 €, ISBN 978-3-85256-669-6

 

Weiterführender Link:
Folio Verlag: Piersandro Pallavicini, Erben auf Italienisch

 

Helmuth Schönauer, 01-09-2015

Bibliographie

AutorIn

Piersandro Pallavicini

Buchtitel

Erben auf Italienisch

Originaltitel

Une commedia italiana

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Folio Verlag

Übersetzung

Karin Fleischanderl

Seitenzahl

304

Preis in EUR

22,90

ISBN

978-3-85256-669-6

Kurzbiographie AutorIn

Piersandro Pallavicini, geb. 1962 in Vigevano, lebt in Pavia.