Renate Aichinger, endeln

Es ist eine geheime Anordnung im Umlauf, wonach sich Lyrik immer auch um die aktuellen Umgangsformen in punkto Sprachstil und Themenfindung zu kümmern hat.

Renate Aichinger greift diese Anordnung aufmerksam auf und markiert ihre Gedichte mit Hashtags, wie man eben in manchen Internet-Foren seine Nachricht markiert und einer globalen Netz-Ordnung zuführt. Lange als wertloses Buchsetzer-Zeichen gehandelt, ist der Hashtag durch Twitter ein unverzichtbares Zeichen der Kommunikation geworden. Diesem brandheißen Zeichen der Gegenwart stellt die Autorin eine alte handwerkliche Tätigkeit entgegen, das „Endeln“ nimmt den Fransen am Ende einer Stoffbahn die Schärfe und verhindert die Auflösung des Stoffes von seinen Rändern her.

Im #lürix-Band wird der Stoff von der ersten bis zur letzten Seite geendelt, beim schnellen Durchblättern erinnern die Gedichte an Ausdrucke eines Nachrichtendienstes, der ein Stück Twitter überwacht hat. Und auch die Einträge sind mehrdeutig und stammen oft aus dem Bereich der elektronischen Kommunikation, um die Überwachung zu irritieren.

Schon die Schlüsselbegriffe für den Gedichtstrom sind mehrdeutig, indem die Zusammengesetzten Wörter in ihre Elementarteile zurückgeführt werden. #wund:brand, #grenz:wertig, #wert:schöpfung sind in aller Munde, aber zerlegt zeigen sie einen skurrilen Widerspruch in sich auf, man denke nur an die jegliche Nachhaltigkeit verhindernde Wertschöpfung.

Neben den Schlüsselwörtern aus Ansprachen, Sonntagsreden oder pathetischen Bildunterschriften speisen vor allem zwei Wortgebiete die #lürix. Einmal sind es Begriffe aus dem digitalisierten Kommunikationswesen, wie etwa #alt:entf, #wir:us. #speicher:platz, zum anderen sind es im aktuellen politischen Diskurs auskristallisierte Begriffe von Migration und Radikalisierung. #schaum:amal, #er:volkspartei, #platz:wunde.

#zaun:gäste // jetzt sollen / zäune her / halten // & sie / ab / halten // obwohl wir / über / alten (32).

Die Lyrik-Strähnen verdichtet sich zusehends und steigern sich wie in der Hotellerie von einem Sternchen-Text zu einem formidablen Fünfsterne-Hashtag. Nur mit Mühe kann der Stoff zusammengehalten werden, oft geht sogar das Endeln ins Leere.

Der Ausstieg aus dem Lyrik-Strom voller brisanter Nachrichten ist ziemlich ohne Perspektive angedeutet.

#lebens:lichter // irren im meer / immer mehr / bald nimmer mehr (64)

Renate Aichingers Lyrik besticht durch die ironische Anwendung des Hashtag-Kults, als Leser ist man sofort zu Hause am eigenen Display und beginnt zu wischen. Aber diese Gedichte lassen sich nicht verwischen, denn sie bestehen aus spitzen Kieseln, die vom Alltagsgebrauch der Sprache zusammengeschliffen sind.

Renate Aichinger, endeln. #lürix
Horn: Berger Verlag 2016, (= Neue Lyrik aus Österreich. Band 16), 64 Seiten, 16,50 €, ISBN 978-3-85028-735-7

 

Weiterführende Links:
Berger Verlag: Renate Aichinger, endeln
Wikipedia: Renate Aichinger

 

Helmuth Schönauer, 07-11-2016

Bibliographie

AutorIn

Renate Aichinger

Buchtitel

endeln. #lürix

Erscheinungsort

Horn

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Verlag Berger

Reihe

Neue Lyrik aus Österreich. Band 16

Seitenzahl

64

Preis in EUR

16,50

ISBN

978-3-85028-735-7

Kurzbiographie AutorIn

Renate Aichinger, geb. 1976 in Salzburg, lebt in Wien.