Richard Wall, Streith

Neben esoterischen Legenden, wo „Streith“ eine Art Gemüts-Materie ist, findet man unter Streith vor allem eine Geländeparzelle auf halbem Weg von Großgerungs nach Großpertholz. Wem diese Groß-Orte zu unbekannt sind, sie liegen im Großraum Weitra /NÖ.

Richard Wall sucht seine Gedichte oft in historisch entlegenen, zu Steinfeldern zerlegten Flecken weitab von den Koordinaten der Überland-Navis. Das lyrische Ich taucht jäh auf einer Lichtung auf, pflückt archaisches Werkzeug aus dem Boden und hackt eine Ansicht frei.

Rodungsgedichte könnte man diese Poesie nenne, die jeweils ein Stück Gegenwart frei legt, worin sich ein kurzer Augenblick spiegelt, ehe er gegen Ende des Gedichtes schon wieder überwuchert wird von Zeit und Geschichte.

Johannesberg, 836 m // Der Wald tritt zurück, geborstene Felsen / Und Windwirbel im Buchenlaub. / Vor mir eine Lichtung, Kuenringer, // Rodungsinsel, darin in Hanglage / Ein Bauernhof, prall in der Oktobersonne, / Von Westen her trefflich geschützt / Durch den Berg, der mein Ziel. (33)

Obwohl dieser Ort auf den Höhenmeter genau angegeben ist, wird ihn doch niemand finden, wenn er nicht die Geschwindigkeit des lyrischen Ichs annimmt, das später das Rad an eine Granitsäule lehnt und eine Landschaft besteigt halb Natur halb Ruine.

Das wichtigste Wort in dieser Sammlung „Streith“ ist vielleicht Stein und alles, was sich um ihn herum auftürmt.

Lagere, zur Ruhe gekommen / In meiner Höhle aus Stein - (12).

Steinerner Mobiliar // für Hans Viehböck // Für den, der sich einfühlen möchte / In das Leben von ehedem, / Dem diene als Anreiz folgendes Mobiliar: / Opferstein und Marterl / Schalenstein und Pranger / Grenzstein und Karner (54).

Die meisten Gedichte sind mit einem Datum signiert und einer konkreten Person gewidmet, die als Patronin fungieren muss für das Gedicht, das ihr flehentlich zur Obsorge hinterlegt ist; Walter Kappacher, Gregor M. Lepka, Erwin Einzinger, Erich Hackl, Waltraud Seidlhofer sind solche Schirmherrinnen, die es dem Leser weiterempfehlen.

Manche Botschaften sind archaisch verkürzt wie ein Gebot in Stein gehauen: „Die Phrase ist fremd dem Tier“ (41). „Grab nicht selber / Lass die Wörter graben“ (47).
Dabei wird das lyrische Ich manchmal selbst in die Tiefe des Textes gerissen, „ich habe im Sommer einen Köder samt Angelhaken verschluckt“ (36), die Recherche hat sich verselbständigt, die Geschichte hat ihren Erforscher in ihrer Materie versenkt.

Richard Wall evoziert mit seinen Gedichten helle Gedankenflecken, die Einstiege sein können, Rodungen, aufgetürmte Mahnmale. Wo sich der Stein kurz dem Licht aussetzt, setzt Richard Wall sein Werkzeug an, ganz und gar Bildhauer der Worte.

Richard Wall, Streith. Gedichte.
Horn: Berger 2014. (= Neue Lyrik aus Österreich. Band 6). 64 Seiten. EUR 16,50. ISBN 978-3-85028-620-6.

 

Weiterführender Link:
Verlag Berger: Richard Wall, Streith

 

Helmuth Schönauer, 17-02-2014

Bibliographie

AutorIn

Richard Wall

Buchtitel

Streith. Gedichte

Erscheinungsort

Horn

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Berger Verlag

Reihe

Neue Lyrik aus Österreich. Band 6

Seitenzahl

64

Preis in EUR

16,50

ISBN

978-3-85028-620-6

Kurzbiographie AutorIn

Richard Wall, geb. 1953 in Engerwitzdorf, lebt in Katsdorf/OÖ.