Robert Prosser, Geister und Tattoos

Obwohl es Wörter aus der üblichen Welt sind, erzählen sie unter dem Einfluss von Geistern und Tattoos eine Geschichte nicht von dieser Welt.

Robert Prosser siedelt seine Helden im entlegenen Kaukasus in einer Zeit nach einem Krieg an, der die Überlebenden völlig traumatisiert hat. „Unter Wölfen“ nennt sich dann auch das erste Kapitel, worin der Überlebenskampf strukturiert ist wie in Wolfsrudeln, die die abgebrannten Dörfer umkreisen.

Der Steinwurf zwischen Hund und Wolf: das bin ich. (10)

Das Leben ist offensichtlich aus jeder Geschichte ausgestiegen, die Helden trotten als archaische Banden durch das Gelände. „Ein jeder jagt im Wald eigene Geister, doch niemand spricht von ihnen.“ Oft versagen die Geschichten, Paare liegen nachts in Kojen und versuchen sich gegen die Kälte zu umarmen.

Allenthalben kreist die Schnapsflasche, die mehr als religiöses Gefäß denn als medizinisches Instrument empfunden wird. „Der Himmel ist tief und niemand“, heißt so eine religiöse Beschwörungsformel.

Der zweite Teil ist übertitelt mit der Inschrift „Auf die Toten, auf die Frauen“. Was in einen Trinkspruch zusammengefasst ist, mündet letztlich im Versuch, die Ereignislosigkeit in Worte zu fassen. „Niemand schert sich darum, was der neue Tag verlangen könnte.“ (95) Krieg, Langeweile, Gedanken an Folterungen, Schnaps – mit der Zeit beginnen die Helden in Tattoos zu denken. Es genügt das Aufrufen eines Emblems auf der Haut, um ganze Erinnerungsstürme in Gang zu setzen.

Manche versuchen ihr Leben als Tattoo aufzuzeichnen, andere formulieren Sätze, die sie sich eintätowieren lassen als Überlebensmittel. „Erst die Hinrichtung wird mich züchtigen!“ (129)

Aus den Rudeln der Erinnerung taucht manchmal der Umriss der UdSSR auf, die Kriege zwischen Armenien und Berg-Karabach werden manchmal in Schlagzeilen den Toten zur Kenntnis gebracht. Die Lebenden werden von Hunden zerrissen, die nur das Weiß der Augen übrig lassen. (165) Die Sätze sind als Zitate formatiert, welche sich als Tattoos unter die Haut der Geschundenen fressen.

Die Stadt erfüllt seit Kriegsende stur ihre Bestimmung, ohne Leben und Mensch bleibt nur der weiße, abgenagte Rest. (99)

Robert Prosser nennt im Vorspann den Roman „nach wahren Begebenheiten“. Hintergrund der fiktionalen Reise ans Ende der Welt und an die Schmerzgrenze der Sprache bilden zwei Reisen des Autors nach Armenien und Berg-Karabach. Der Roman freilich, aus vierzig und fünfzig exzessiven Kapitel zusammengesetzt, ist allen geographischen und politischen Vorstellungen entwachsen. Eine emotionale Fundgrube für eine Welt, die sich als Antimaterie des Gefühls präsentiert.

Robert Prosser, Geister und Tattoos. Roman.
Wien: Klever 2013. 181 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-902665-65-2.

 

Weiterführende Links:
Klever Verlag: Robert Prosser, Geister und Tattoos
Homepage: Robert Prosser

 

Helmuth Schönauer, 15-10-2013

Bibliographie

AutorIn

Robert Prosser

Buchtitel

Geister und Tattoos

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Klever Verlag

Seitenzahl

181

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-902665-65-2

Kurzbiographie AutorIn

Robert Prosser, geb. 1983 im Tiroler Alpenmassiv, lebt in Wien.