Ruth Aspöck, Jadran heißt die Adria

Bücher entstehen eher selten aus einem Überdruck, der durch das Schreibventil abgelassen wird. Meist sind Bücher das Ergebnis beharrlichen Sammelns von Notizen und deren Ausbreitung vor dem Leser unter dem Aspekt einer inneren Ordnung der Schreibenden.

Ruth Aspöck setzt in ihrer Lebensreportage „Jadran heißt die Adria“ zwei Frauenschicksale in Gang, die letztlich durch gegenseitiges Erzählen ihres Lebensprogramms mit dem Phänomen fertig werden müssen, dass alles zur Ruhe kommt und einem Ende entgegengeht.

Die Ich-Erzählerin leidet ein wenig unter dem Ruhestand, „Ich lebe angenehm dahin“ (150), sie hat lange vergeblich versucht, aus Europa wegzukommen, irgendwie ist sie in Wien gestrandet und hat sich meist mit prekären Jobs über Wasser gehalten. Ein Leben lang hat sie gesammelt und geordnet, Bierdeckel, Eulen, Notizen. Aber jetzt tritt sie als Erzählerin zurück und überlässt die Bühne ihrer Freundin Susana, deren Leben völlig anders verlaufen ist.

Susana muss nämlich früh aus Banja Luka weg und sich in Wien durchschlagen, ehe sie Mann und Sohn nachholen kann. Als Köchin und Kassierin in einer Betriebsküche mit unbändigem Ordnungs- und Zukunftswillen hat sie ein halbwegs erträgliches Leben hingekriegt. Als aufbauendes Motiv dient ihr ein Reitstall in Sichtweite, auf dem sie die wichtigsten Begriffe des Reitens studieren kann. Aufwärmen / aufsitzen / anreiten / ausreiten /abreiten / abwenden / absitzen.

Leider ist das Leben alles andere als ein gelehriges Pferd. (39)

Mit diesen Pferdebegriffen sind die Kapitel des Romans überschrieben, im Gegenschnitt führen die Erzählerin und Susana ihre Lebensentwürfe zusammen bis hin zu einer gemeinsamen Reise nach Banja Luka. Obwohl beide Heldinnen ihr Leben selbst in die Hand nehmen, werden doch wesentliche Teile von außen gesteuert. Was hätte aus Susana alles werden können, wenn es nicht den jugoslawischen Zerfallskrieg gegeben hätte?

Die Erzählerin ist manchmal ein wenig neidisch, dass es für Susana einschneidende, elementare Ereignisse gegeben hat, die sich zumindest erzählen lassen. Ihr selbst ist das Leben einfach durchgeflutscht, und jetzt macht sie der Ruhestand ganz nervös, denn sie hat nichts erlebt als ein unauffälliges, letztlich schönes Leben.

In der Parallelführung der beiden Schicksale entsteht letztlich eine beinahe Stifter'sche Gelassenheit. Abgerechnet wird am Schluss im Ruhestand, und dem ist es egal, ob das Leben zuvor geruhsam oder wild gewesen ist.

Die Energie geht in das Bewältigen und Ordnen des Möglichen. (123)

Ruth Aspöcks „Roman“ führt in die höchste Stufe des Erzählens, in eine Seelengegend, wo das Laute, Spektakuläre und Tagespolitische nicht mehr gefragt sind, wo das „sanfte Gesetz“ waltet, wo es um das Schwierigste geht: das Leben auszuhalten in scheinbarer Ereignislosigkeit und dennoch dabei nicht einzuschlafen. Im Ruhestand aufregend zu schreiben ist wahrscheinlich die höchste Kunst, die eine Schriftstellerin auszuüben vermag, im Projekt „Jadran heißt die Adria“ ist diese Kunst perfekt gelungen.

Ruth Aspöck, Jadran heißt die Adria. In Zusammenarbeit mit Biljana Panic.
Wien: Löcker Verlag 2015, 163 Seiten, EUR 19,80, ISBN 978-3-85409-753-2

 

Weiterführende Links:
Löcker Verlag: Ruth Aspöck, Jadran heißt die Adria
Wikipedia: Ruth Aspöck

 

Helmuth Schönauer, 03-04-2015

Bibliographie

AutorIn

Ruth Aspöck

Buchtitel

Jadran heißt die Adria

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Löcker Verlag

Seitenzahl

163

Preis in EUR

19,80

ISBN

978-3-85409-753-2

Kurzbiographie AutorIn

Ruth Aspöck, geb. 1947 in Salzburg, lebt in Wien.