Ruth Schoenbach, Lesen macht schlau

„Wenn Johnny in der 9. Klasse nicht lesen kann, ist es nicht zu spät.“ Die optimistische Kernaussage der kalifornischen Förderinitiative „Reading Apprenticeship“ („Leseausbildung“), ließ die deutsche Pädagogin Dorothee Gaile aufhorchen, als sie im Jahr des ersten PISA-Schocks 2003 im Internet nach internationalen Modellen der Sprach- und Leseförderung suchte.

Liegt hier eine Chance für rund ein Viertel aller Schülerinnen und Schüler, die keine zusammenhängenden Texte lesen können? „Lesen lässt sich lernen wie ein Handwerk.“, so die schlichte Botschaft der vier US-Amerikanerinnen Ruth Schoenbach, Cynthia Greenleaf, Christine Cziko und Lori Hurwitz. Wie das Programm auch an deutschen Schulen eingesetzt werden kann, zeigte Gaile deutschlandweit mit großem Erfolg in Workshops und nun auch als Herausgeberin der deutschen Übersetzung Lesen macht schlau (Cornelsen Scriptor).

Anders als die meisten Ansätze konzentriert sich das pragmatische Konzept der „Leseausbildung“ nicht auf die Analyse von Defiziten. Mangelnde Lesekompetenz wird oft einzig als Versäumnis der Grundschule betrachtet. Bis in die jüngste Zeit gingen Pädagogen davon aus, dass Jugendliche das Lesen beherrschen, wenn sie in die weiterführenden Schulen kamen, und vernachlässigten die Leseförderung.

Ein Irrtum, wie die kalifornische Projektgruppe erkannte. Frei nach dem Credo, dass es niemals zu spät ist, Versäumtes nachzuholen, begannen sie mit der systematischen Förderung von Schülern der neunten Jahrgangsstufe einer Highschool. Der Erfolg war erstaunlich: Innerhalb von sieben Monaten veränderten die Jugendlichen ihre Einstellung zum Lesen grundlegend und holten ihren Leistungsrückstand im Bereich der Lesekompetenz komplett auf.

Es ist zunächst unnatürlich, laut zu denken', tröstete Ruth Schoenbach im Oktober 2006 rund 60 Workshop-Teilnehmer, die das Verfahren an der unübersichtlichen Inhaltsangabe einer Cornflakespackung probten. Auf spontane Gedanken folgt die Konzentration aufs Lesen und die Zerlegung des Textes. Schließlich entwickeln die Schüler in der vierten Stufe die Fähigkeit, bewusst zu lesen und werden 'Leseexperte'.

Das Verfahren soll in allen Fächern geübt werden, auch Chemie- oder Geschichtstexte haben Eigenheiten, die zu entschlüsseln geübt werden muss. 'Es funktioniert besonders gut, wenn die Fachkollegen mitmachen', sagt Jona Jasper, die in Wiesbaden mit der Methode arbeitet. Um mit den Schülern das laute Denken zu üben, ließ sie sie zunächst Tiere kneten und ihr Tun laut beschreiben. 'Es ist Schülern in diesem Alter sehr peinlich, laut zu denken', erwidert sie auf die Sorge, wie man die Schüler danach wieder zum 'leisen Denken' bewege.

Lesen macht schlau berücksichtigt alle Aspekte des Leseprozesses: von Leseschwächen einzelner Schüler über die Gruppendynamik einer lesefeindlichen Clique bis hin zum Gestalten eines geeigneten Leseraumes. Mit seinem ganzheitlichen Ansatz fördert das Programm nicht nur die Lesekompetenz, sondern in entscheidendem Maße auch die Motivation, Texte zu lesen. Auf über 230 Seiten zeigt der Ratgeber, wie die Leseausbildung zu einem festen fächerübergreifenden Bestandteil der Schulentwicklung werden kann. Mit Kommentaren und Ergänzungen hat Dorothee Gaile das Programm für den deutschen Markt adaptiert.

Ruth Schoenbach / Cynthia Greenleaf / Christine Cziko und Lori Hurwitz, Lesen macht schlau - Neue Lesepraxis für weiterführende Schulen
Berlin: Cornelsen Verlag Scriptor 2006, 232 Seiten, 19,50 €, ISBN 3-589-22199-2

 

Weiterführende Links:
Projekt "Lese- und Sprachförderung" Hessen (Dorotheee Gaile)
Cornelsen-Verlag: Praxisbuch - Lesen macht schlau

 

Raimund Senn, 26-10-2006

Bibliographie

AutorIn

Ruth Schoenbach / Cynthia Greenleaf / Christine Cziko und Lori Hurwitz

Buchtitel

Lesen macht schlau - Neue Lesepraxis für weiterführende Schulen

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Cornelsen-Verlag-Scriptor

Seitenzahl

232

Preis in EUR

19,50

ISBN

978-3-589-22199-8