Selma Mahlknecht, Vom großen Ganzen

Philosophische Maßeinheiten sind bekanntlich immer von der Situation abhängig. Und schon Adalbert Stifter hat im Sanften Gesetz das sogenannte Große von hinten her, von der Stille und Überschaubarkeit her aufgezäumt.

Selma Mahlknecht geht in sieben Erzählungen der Unverhältnismäßigkeit von Größe und Wirkung nach.

Bereits die erste Titelgebende Erzählung beschäftigt sich mit dem Phänomen, dass der Sinn einer Einzelperson nicht unbedingt der Sinn der Öffentlichkeit sein muss. In einer jugendlichen Dorfszenerie, wo es von Kurzfreundschaften, Kosenamen und Ein-Tages-Theorien nur so wimmelt, kommt es in der Nacht zur Eskalation.

Die Erzählerin kommt am Wrack ihrer frisch verunglückten Freundin vorbei. Um vom alkoholisierten Driver abzulenken, setzen sie und ihr Freund sich ins Wrack und überlisten die Polizei mit Nüchternheit. Im Spital freilich kommt es zur Begegnung mit dem Außenseiter Benjamin, der als Geheim-Yogi zusammengeschlagen worden ist, weil er mit seinem Wissen um das große Ganze geprahlt hat. Auf der Suche nach Sinn versteht eben auch die Jugend keinen Spaß.

In einer absurden Verdrehung vom großen Sterben überlebt ein Bub namens Marseille ganze Jahrgänge von Zeitgenossen, die wie er im Sterbeheim auf den Tod warten. Da es bei ihm mit dem Sterben nichts wird, bringt er sich selbst noch Lesen und Schreiben bei, damit das Leben einen Sinn hat. – Eine seltsame Umkehrung des Begriffes Sterbeklink für Alte.

  • Muss man ab und zu das Leben abstreifen wie eine Schlangenhaut?
  • Sucht sich jemand für den Suizid seinen Lokführer persönlich aus?
  • Muss man einen Bunker gegen die Geliebte bauen, wenn man sie nicht verlieren will?

Mit scheinbar skurrilen Fragestellungen versuchen die Figuren jeweils den großen Überlebenssinn zu ergattern.
Nach einem ereignislosen Leben verschickt Rosa zum sechzigsten Geburtstag ihren eigenen Partezettel, beim Begräbnis steigt sie fidel aus einer Geburtstagstorte. Zur Strafe muss sie einsam bleiben und neunzig werden.
Und wie der Käfer bei Franz Kafka wacht Manfred in der letzten Geschichte in einem Sarg auf, es ist zwar eng aber nicht beängstigend, denn Manfreds Leben hat immer schon in einer geistigen Kiste stattgefunden.

Selma Mahlknechts Figuren schauen die Dinge oft in einem seltsamen Licht an und nehmen dabei die Kostbarkeiten des Lebens recht  ungeschickt in die Hand. Diese Helden haben alle einen persönlichen Plan, wie sie etwas von diesem Rätsel Welt dechiffrieren könnten und sich eine Scheibe vom großen Ganzen abschneiden könnten. – Sehr fein gesponnene, raffinierte Erzählungen über die Unmöglichkeit, den großen Sinn zu erhaschen.

Selma Mahlknecht, Vom großen Ganzen. Erzählungen.
Innsbruck: Edition Laurin 2012. 147 Seiten. EUR 17,90. ISBN 978-3-902866-02-8.

 

Weiterführende Links:
Edition Laurin: Selma Mahlknecht
Wikipedia: Selma Mahlknecht

 

Helmuth Schönauer, 10-04-2012

Bibliographie

AutorIn

Selma Mahlknecht

Buchtitel

Vom großen Ganzen

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Edition Laurin

Seitenzahl

147

Preis in EUR

17,90

ISBN

978-3-902866-02-8

Kurzbiographie AutorIn

Selma Mahlknecht, geb. 1979 in Meran, lebt in Rabland.