Stefan Neuhaus, Literaturvermittlung

Manchmal sind es die einfachsten Sätze, die die größte Erkenntnis auslösen. Literatur ist Literaturvermittlung, ohne Literaturvermittlung keine Literatur.

Auf diese bemerkenswerte Formel bricht Stefan Neuhaus einmal den ganzen Literaturbetrieb herunter und kommt dabei zu erstaunlichen Ergebnissen. Etwa dass es kaum ein Lehrbuch über Literaturvermittlung gibt, weil diese meist den Gebieten Markt, Pädagogik oder Schreibwerkstatt angegliedert ist.

In so genannten 10 „Einheiten“ wird nun alles, was bisher verstreut gelehrt wurde, fast wie auf Gesetzestafeln zusammengeschrieben und logisch lernbar aufbereitet. In lockeren Streifzügen durch die Literarturwissenschaft fallen oft wie nebenher die Sätze ganzer Denkschulen. Etwa dass jeder Leser, wenn er das Wort Roman liest, einen „Lektürevertrag“ mit dem Text eingeht.

Die drei wichtigsten Zugänge zur Literaturvermittlung fußen philosophisch gesehen auf drei Schlüsselideen:

  • Systemtheorie – Niklas Luhmann
  • Feldforschung – Pierre Bourdieu
  • Diskursanalyse – Michel Foucault

Bei dieser Gelegenheit werden die süffisantesten Sätze dieser Gedankenwerke en passant vorgestellt, beispielsweise Luhmann: Unterhaltung besteht darin, überflüssige Zeit zu vernichten. (118)

Einheiten über Rezeption, Kanon, Gate-Keeper, die Unterscheidung zwischen trivialer und Höhenkamm-Literatur, Verlagswesen, Literaturkritik, die sich zwischen Emphatikern und Gnostikern bewegt, führen schließlich zu einem Abspann der Praktiker.

Dabei erzählt der Lektor Oliver Vogel im Sinne einer Society-Posse, wie er zwischen Sendeterminen, Autorentreffen und Jahresplanung ständig im Flieger oder ICE hin und her flitzt. Völlig glaubwürdig hingegen die Darstellung des Innsbrucker Verlegers Markus Hatzer, wie man eine Taschenbuchreihe gründet und am Leben erhält.

Stefan Neuhaus stellt in allen Kapiteln immer wieder eine Verbindung zwischen dem gerade Aufgeführten und der zu erwartenden Lebensrealität her. Das Feld der Literaturvermittlung ist so amorph, dass für viele Platz ist. Die Kunst besteht vermutlich darin, dass jeder Anwender seinen persönlichen Zugang findet.

Am Beispiel der Postmoderne und etwa zehn Romanen stellt der Autor schließlich die Grundzüge der Gegenwartsliteratur vor, ein Favorit dabei ist Walter Moers mit seinem Roman „Die Stadt der träumenden Bücher“.

Hier lassen sich wesentliche Merkmale des Romans auf der Höhe der Zeit ausmachen. Dieser nämlich ist Autoren- und Genreübergreifend, fügt jede Menge Zitate ein, weist ein polyphones Erzählkonzept auf, spielt mit Traditionen und ebnet den Unterschied zwischen Hoch- und Popkultur ein. (256)

Stefan Neuhaus Anregungsbuch „Literaturvermittlung“ richtet sich natürlich an Studentinnen und Studenten, spricht aber auch alle alten Hasen an, die oft schon vom Strom der Zeit narkotisiert ihre Literatur-Arbeit verrichten. Und diese These hat etwas verrückt Sympathisches an sich: Wenn Literatur aus Literaturvermittlung besteht, dann wird ja jeder von uns gebraucht!

Stefan Neuhaus, Literaturvermittlung.
Konstanz: UVK-Verl. 2009. ( = UTB 3285 ) 316 Seiten. EUR 20,50. ISBN 978-3-8252-3285-6


Weiterführende Links:
UVK-Verlag: Stefan Neuhaus, Literaturvermittlung
Wikipedia: Stefan Neuhaus

 

Helmuth Schönauer 04/01/12

Bibliographie

AutorIn

Stefan Neuhaus

Buchtitel

Literaturvermittlung

Erscheinungsort

Konstanz

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

UVK

Reihe

UTB 3285

Seitenzahl

316

Preis in EUR

20,50

ISBN

978-3-8252-3285-6

Kurzbiographie AutorIn

Stefan Neuhaus ist Professor für Angewandte Literaturwissenschaft an der Universität Innsbruck.