Tanja Maljartschuk, Biografie eines zufälligen Wunders

Ein gutes Wunder besteht geradezu darin, dass es einmalig und unbeschreiblich ist. Wenn nun ein Wunder gar eine Biografie zustande bringt, ist das ein grandioser Sieg der Bürokratie.

Tanja Maljartschuk erzählt die Biografie der Lena und somit die jüngere Zeitgeschichte der Ukraine als Wunder.

Das Mädchen Lena wird in einem ukrainischen Dorf, das sich selbstbewusst San Francisco nennt, in die Geheimnisse des Landes eingeführt. Besonderer Wert wird auf die Verehrung der Großväter gelegt, die die ukrainische Sprache entwickelt haben. Aber schon nach der ersten Erziehungseinheit fährt ein Kugelblitz in die Klasse und entfernt die Erzieherin „Dutt“, der man später eine Gedenktafel spendiert.

Die Auseinandersetzung mit dem Unwahrscheinlichen und Überirdischen lässt Lena ein Leben lang nicht mehr los. Es beginnt mit einem überzeugenden Gottesbeweis, als ein Bonbon ungesteuert zu Boden fährt (28), und endet schließlich mit der Überwindung der Schwerkraft.

Lena begleitet ein Leben lang eine Freundschaft zu Hund, wobei es sich aber um eine behinderte Altersgenossin handelt, die freilich oft wie ein Hund gehalten wird. Nach einer Kindheit voller Zacken und Schrofen ist bloß eines gewiss: „Ich weiß nur, dass etwas passieren muss.“ (76)

Ein Studium der Gesundheitswissenschaft erweist sich als eher dünn, ein Pionierprojekt für die Aussaat von Buchweizen stellt sich als wirtschaftlich desaströs heraus, und soziales Engagement lockt bloß die Bürokratie aus ihrer Schläfrigkeit. So beschließt Lena, Wunder anzubieten und schaltet entsprechende Inserate. Freilich werden geplante Wunder nicht als solche anerkannt und es stellt sich die Frage, warum Wunder machen nicht als Arbeit gilt.

Als Lena schließlich zu schweben beginnt, da sie in den Augen von Whisky trinkenden Zeitgenossen in die Höhe fährt, ist die Zeit reif für die geschlossene Anstalt. Alles, was nämlich zu frei herumläuft, muss in einer geschlossenen Anstalt der Schwerkraft zugeführt werden.

Tanja Maljartschuk führt anhand einer fast schwerelosen Figur die Erdenschwere der Ukraine vor. Mythen führen sich ad absurdum, die Geschichte erweist sich als schwere Last, weil die Menschen seit Jahrhunderten nicht in die Höhe gekommen sind, die politische und wirtschaftliche Wende in den 1990-er Jahren überfordert die Bewohner.

Allein, wie sich die Helden durch den Alltag schlagen, grenzt oft an ein Wunder. Eine clowneske Lebenshaltung, die dem mühsamen Überlebenskampf den Stinkefinger zeigt, ist an manchen Tagen die einzige Möglichkeit, über die Runden zu kommen. – Bewundernswerte Geschichte einer Frau vom Typ „Non-Hero“.

Tanja Maljartschuk, Biografie eines zufälligen Wunders. Roman. A. d. Ukrain. von Anna Kauk. [Orig. 2012 bei KSD, Charkiw].
St. Pölten: Residenz 2013. 267 Seiten. EUR 21,90. ISBN 978-3-7017-1612-8.

 

Weiterführende Links:
Residenz Verlag: Tanja Maljartschuk, Biografie eines zufälligen Wunders
Wikipedia: Tanja Maljartschuk

 

Helmuth Schönauer, 17-09-2013

Bibliographie

AutorIn

Tanja Maljartschuk

Buchtitel

Biografie eines zufälligen Wunders

Originaltitel

Charkiw

Erscheinungsort

St. Pölten

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Residenz Verlag

Übersetzung

Anna Kauk

Seitenzahl

267

Preis in EUR

21,90

ISBN

978-3-7017-1612-8

Kurzbiographie AutorIn

Tanja Maljartschuk, geb. 1983 in Iwano-Frankiwsk, lebt seit 2011 in Wien.