Thomas Jonigk, Melodram

Das ist ja wie im Film, sagt man oft, wenn etwas melodramatisch dicht ist, ohne dabei daran zu denken, dass ja auch den Film einst jemand hat gestalten müssen und dazu ein Drehbuch geschrieben hat.

In Thomas Jonigks Roman „Melodram“ geht es um einen Film, der sich quasi verselbständigt und für die beteiligten Personen zu einem Stück echten Lebens wird. Dabei ist der Einsatz der Handlung vorerst nur dramatisch, eine etwas abgetakelte Schauspielerin Karin Hoffmann erlebt so etwas wie Brief-Stalking, ein Unbekannter schickt ihr jeweils Protokolle zu, indem ihre Aktivitäten und Kontakte in Detektivmanier aufgeschlüsselt sind.

Natürlich will die Schauspielerin wissen, wer hinter ihr her ist. In diesem Aufklärungsspiel gerät sie wieder in die Fänge des Filmsets, ihr Mann hat sie verlassen, sein Arbeitszimmer dient als raumgewordenes Tagebuch, ihre Tochter Karla startet eine Filmkarriere und über allem schwebt ein Filmprojekt, das sich Melodram nennt.

Zwischen Drehbuch, Inszenierung, Filmvorführung und Rezeption in der Presse lösen sich die Tatsachen auf und verpuffen oft als Sätze voller Rätsel.

Es gibt keine Gegenwart. (12)
Sie war einfach nur da. Material. (41)
Meinst du jetzt mich oder die Figur? (113)

Während sich im echten Leben offensichtlich der Mann der Schauspielerin umbringt, wird an seinem Film herumretuschiert. Dabei gibt es elegante Übergänge, wenn etwa „ein Selbstmordversuch in einer späteren Fassung in einen erfolgreichen umgewandelt wird.“ (112)

Die Figuren reden im Film hypothetisch verschränkte Phrasen ab, während sie in der Realität ständig Sätze aus bereits gedrehten Filmen replizieren. Das Thema ist meist eine nicht vorhandene Filmtheorie, die durch entsprechende Lebenspassagen vielleicht zu einem neuen Genre führen könnte, das sich Melodram nennt.

Oft sind die Banalitäten kunstvoll inszeniert, wenn etwa Waldheim als Klingelton (66) heruntergeladen wird und die Szenerie bei jedem Anruf eine politische Komponente erfährt.

Am Schluss sind die Figuren in sich selbst und ihren Rollen versickert, es gibt kein Zusammenleben der Geschlechter außer in der Form einer Filminszenierung. Die Presse fasst das Projekt kühl zusammen: das Melodram ist gescheitert, aber nicht das melodramatische Genre. (186)

Thomas Jonigk karikiert in diesem Roman die Welt der Diven, Regie-Hengste, Cineasten und Schau-Komplexler. Großes Kino zieht nicht nur große Gefühle und eine breite Leinwand hinter sich her, die großen Sätze und Gesten sind natürlich ein Fake, wenn sie auf die Körpergröße des Lebens umgelegt werden. Melodram ist ein Roman voller Saft und Schmalz, worin die Beziehungskisten wundersam hohl klingen, wenn man dagegen klopft. – Feines Lese-Kino.

Thomas Jonigk, Melodram. Roman.
Graz: Droschl 2013. 195 Seiten. EUR 19,-. ISBN 978-3-85420-834-1.

 

Weiterführende Links:
Droschl-Verlag: Thomas Jonigk, Melodram
Wikipedia: Thomas Jonigk

 

Helmuth Schönauer, 02,02,2013

Bibliographie

AutorIn

Thomas Jonigk

Buchtitel

Melodram

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Droschl-Verlag

Seitenzahl

195

Preis in EUR

19,00

ISBN

978-3-85420-834-1

Kurzbiographie AutorIn

Thomas Jonigk, geb. 1966 in Eckernförde, lebt in Zürich.