Thomas Pynchon, Die Versteigerung von No. 49

Romane über die bibliothekarische Lebensphilosophie sind weit häufiger, als man landläufig glaubt. Wo immer Nachrichten verwaltet, ausgehoben und in einen neuen Zusammenhang gesetzt werden müssen, sind bibliothekarische Hände im Spiel.

So handelt auch Thomas Pynchons „Versteigerung von Nr. 49“ als Klassiker der postmodernen Literatur letztlich vom Treiben und Getrieben-Werden jener Menschen, die mit Nachrichten zu tun haben.

In den hellen 1960er Jahren, als sich die Hippies an der Westcoast zu sammeln beginnen und ganze Jahrgänge bereits im Sumpf von Vietnam versunken sind, schreibt Thomas Pynchon aus dem selbstgewählten Untergrund heraus seinen Entwurf von einer Welt der totalen Überwachung, von der Installation eines weltweiten Webs und der Enträtselung gut getarnter Geheimbotschaften.

Hauptfigur ist Oedipa Maas (Kosename Oed), die mit einer Erbschaft von einem verflossenen Lover beglückt wird, während ihr Mann argwöhnisch Radiosendungen moderiert, die er allerdings vorher aufzeichnen muss, damit nichts Spontan-Politisches passiert. Auf der Suche nach der verstreuten Erbschaft tauchen immer jene Advokaten auf, die ein Stück Geheimwissen abgelegt haben und jeweils in Rätsel-Vorgaben bei der Recherche helfen.

Oedipa neigt ohnehin zur Paranoia und sieht fortan alles als vorgetäuschte Inszenierung, die sie wahnsinnig machen soll, zumal wie bestellt die Band der Paranoids auftaucht und nicht mehr von der Ferse weicht. Als sie auf dem WC ein Graffito von einem gedämpften Posthorn entdeckt, ist es um ihre Vernunft geschehen. - Klar, es gibt ein Untergrund-Postwesen, das über die Länder und Jahrhunderte verstreut ist.

Oedipa Maas besucht sofort ein Renaissance-Stück auf der Suche nach geheimen Botschaften. Der Regisseur zeigt in den Kopf und stellt fest, dass das der einzige Ort der Realität ist. Oedipa sucht dennoch das Original des Textes zu finden, es gibt Dutzende gefälschter Ausgaben, wobei das Wort Paperback als nicht vertrauensvoll gilt. In einem Stadtplan aufgebaut wie ein modernes Motherboard sind Verteilerstellen für Xerographien eingebaut, Buchhandlungen brennen ab, wenn man sie ein zweites Mal aufsucht, Verleger tauchen unter und verstecken sich hinter einem System aus Post, Postmoderne und Pots, offensichtlich einer Verwaltung von Druckfehlern.

Allmählich kristallisiert sich heraus, dass Staaten wie Postsysteme von Thurn und Taxis aufgebaut sind und sich Geheimbünde zur Unterstützung halten müssen. Ein funktionierendes Netz braucht Untergrund und Überwachung! Als theoretisches Fundament werden dabei die Gesetzmäßigkeiten der Entropie verwendet. Nachrichten verhalten sich untereinander wie die Wärmesätze der Physik. Und wer die Wahrheit wissen will, muss sich an die Theorien von Maxwell und seinem Dämonen halten.

Oedipa Maas stößt letztlich auf das Tristero-System, das halb aus Druckfehlern, halb aus subjektiven Einschüben von unbekannten Nachrichten-Abschreibern besteht. Jetzt bleibt offen, ob die Heldin paranoid ist oder nur auf generelle Paranoia reagiert. Sie betritt jedenfalls eine Versteigerung von Briefmarken, wo gerade das Objekt 49 ausgerufen wird.

Das alles kennen bibliothekarische Menschen als tägliches Brot, da erschüttert auch nicht, wie zeitgemäß dieser Roman aus dem Jahre 1967 in alle Zeiten passt.

Ein guter Bibliothekar reagiert übrigens wie der Maxwellsche Dämon, indem er in seiner Box die Informationen in gute und schlechte trennt. Und dabei selbst in Frage gestellt wird, ob es ihn als Bibliothekar überhaupt gibt oder ob er nicht bloß eine Fiktion ist.

Thomas Pynchon, Die Versteigerung von No. 49. Roman. A. d. Amerikan. von Wulf Teichmann. [Orig.: „The Crying of Lot 49“, London 1967].
Reinbek: Rowohlt Taschenbuch 2001, 208 Seiten, 9,30 €, ISBN 978-3-499-13550-7

 

Weiterführende Links:
Rowohlt Verlag: Thomas Pynchon, Die Versteigerung von No. 49
Wikipedia: Thomas Pynchon

 

Helmuth Schönauer, 16-05-2015

Bibliographie

AutorIn

Thomas Pynchon

Buchtitel

Die Versteigerung von No. 49

Originaltitel

The Crying of Lot 49

Erscheinungsort

Reinbeck

Erscheinungsjahr

2001

Verlag

Rowohlt Verlag

Übersetzung

Wulf Teichmann

Seitenzahl

208

Preis in EUR

9,30

ISBN

978-3-499-13550-7

Kurzbiographie AutorIn

Thomas Pynchon, geb. 1937 in Glen Cove/New York, lebt inkognito an der Westküste.