Udo Kawasser, Unterm Faulbaum

Auch wenn er vielleicht ein wenig streng riecht und seine Früchte oft als Abführmittel verwendet werden, so ist der Faulbaum der ideale Schattenspender, um darunter auch ohne Sonne ordentlich zu faulenzen.

Udo Kawasser setzt seinen Ich-Erzähler ein paar Monate lang unter einen Faulbaum in der Lobau und lässt ihn sinnieren. In Eintragungen in sein geschmeidiges Notizbüchl arbeitet dieser alles ab, was so im Mühlwasser zu seinen Füßen dahindriftet. Die Botanik umgibt den in seinen eigenen Gedanken Dahinfließenden diskret und streckt ab und zu eine Besonderheit in Gestalt eines Geästes oder Blattwerks vor. Die Natur weist darauf hin, dass sie den gleichen Wortstamm hat wie das lateinischen Wort für Geburt, und erlaubt ist beim Denken alles, was einem so zufließt.

Unser Menschenglaube, dass auch Tiere Gründe für ihr Tun haben. Warum auch nicht? (10)

Das Schreiben und Denken arbeitet sich ringförmig in den Nachmittag hinein wie der berühmte Stein, der in glattes Wasser geworfen worden ist. Über den Käferdienst am Blattwerk geht es hinüber ins Gewässer, die Libellen stehen als Beobachtungsdrohnen auf Augenhöhe mit dem Betrachter, der dann die Kurve kriegt hinaus aus dem Biotop. „Vögel sind das Gegenteil von Zeit“, wird Oliver Messiaen zitiert. (16)

Allmählich reiten Sätze aus längst vergangener Lektüre durch den Kopf, die Lobau könnte in ihrem Grundgeräusch jenem Montauk entsprechen, das Max Frisch einst unter heftigen Liebeskrämpfen erlebt hat. Wittgenstein schaut vorbei mit dem Tagesmotto: Lösung zeigt sich im Verschwinden des Problems.

Das ständige Hin- und Herpendeln zwischen Vorarlberg und Wien hat dem Helden unter dem Faulbaum vielleicht mehr Kraft abverlangt, als für den bloßen Transport seines Körpers von West nach Ost notwendig gewesen ist.

Die Natur kann noch so viel Blattwerk entwickeln, gegen starke Erinnerungen, die von draußen eingeschleppt werden, ist sie machtlos. Manches wirkt wie eine Kulisse für eine Donaustaffel, die ohne konkrete Helden abgedreht wird. Der Honduranische Putsch ist dann doch noch gescheitert, das ältere Paar kriegt auch nach dem Tod noch nicht mit, dass es soeben von einem morschen Ast erschlagen worden ist. Die Nachrichten von draußen sind im Innern des Denkens belanglos.
Jetzt rauscht irgendwo die erste Kastanie dieses Herbstes zu Boden, genau, der Held ist ja aus Kuba zurück und wird seine Geliebte von dort in drei Wochen heiraten.

Udo Kawasser erzählt von Denkvorgängen, die sich verselbständigen, von Erlebnissphären, die sich rund um die Haut aufbauen, von einem Biotop, das nicht mit sich reden lässt und den Notizbuchschreiber einfach inhaliert. – Sympathisch, natürlich, logisch, eine einzige Denkstimulation!

Udo Kawasser, Unterm Faulbaum. Aufzeichnungen aus der Au
Wien: Sonderzahl Verlag 2016, 86 Seiten, 14,00 €, ISBN 978-3-85449-460-7

 

Weiterführender Link:
Sonderzahl Verlag: Udo Kawasser, Unterm Faulbaum

 

Helmuth Schönauer, 03-10-2016

Bibliographie

AutorIn

Udo Kawasser

Buchtitel

Unterm Faulbaum. Aufzeichnungen aus der Au

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Sonderzahl Verlag

Seitenzahl

86

Preis in EUR

14,00

ISBN

978-3-85449-460-7

Kurzbiographie AutorIn

Udo Kawasser, geb. 1965 am Bodensee, Studium in Innsbruck, lebt in Wien.