Ulrike Kotzina, Verschwunden

Was passiert eigentlich, wenn jemand, der das Verschwinden von Personen und Dingen bemerkt, selbst verschwindet?

Ulrike Kotzina stellt in ihrem Roman „Verschwunden“ eine fertige Idylle vor, die sich allmählich auflöst und verschwindet. In sechs Kapiteln, die immer länger und kälter werden, löst sich eine Bilderbuchszenerie in Luft auf.

Gleich zu Beginn hält man es als Leser nicht aus, so schön, glatt und geplant wickeln Vater-Mutter-Kind und Haustiere ihr Eigenheim-Leben ab. Rhea ist Spezialistin für Krebszellenforschung und betreut Versuchsratten am laufenden Band, Jonathan ist routinierter Lehrer, der sich mit der Arbeitskollegin Cleo eine Beziehung anfängt, Tochter Sophia ist auf dem Sprung zu einem Stipendium in London.

Bereits die Vornamen, die sich kaum von jenen der Haustiere unterscheiden, drücken aus, dass hier eine Trend-Familie wie aus einem Glanz-Magazin am Werk ist. Im gepflegten Vorstadthaus spielt sich kaum etwas ab außer Biedermeier, weshalb dieses Kapitel auch bald zu Ende ist.

Doch dann entsteht aus der Langeweile heraus Unruhe, die Frau wird krank, bemerkt die Abschweifungen des Mannes und setzt sich als Glucke auf die Tochter.

Ich lasse dich nicht gehen, ich bin deine Mutter. (181)

Der Mann ist erstaunt, dass sich Seitensprünge nicht so wie im Lehrplan entwickeln, auf wen soll er jetzt als Lehrer hören? Muss er sich trennen oder lässt sich alles in einem Dreiecksverhältnis didaktisch einwandfrei abwickeln? Die Tochter flüchtet zu ihrem Freund, es ist zwar nicht London aber immerhin ein Stück Selbständigkeit.

Während die Beziehungskiste in Auflösung begriffen ist, löst sich schleichend die Welt auf. Zuerst kommen die Kuscheltiere nicht mehr nach Hause, dann hört man in den Nachrichten, dass ein Nachbar verschwunden sei, allmählich kommen auch die Arbeitskollegen nicht mehr an den Arbeitsplatz. Was ist nun Hysterie? Was Magie? Was pure Science-Fiction?

Die Protagonisten versinken ähnlich wie bei Marlen Haushofer hinter einer Wand aus Schnee. Es kann aber auch eine Wahrnehmungsstörung sein, zumal die Dinge und Sachlagen nie so sind, wie man sie einschätzt. Nach den Kapiteln Eintrübung, Nebel, Frost und Schneetreiben bricht am Schluss die pure Eiszeit aus. Die Helden versuchen sich ins Freie zu kämpfen oder zerschellen im eigenen Spiegelbild.

Ulrike Kotzina erzählt von einer unheimlichen Welt, worin alles verschwindet. Wie in echter Science-Fiction gehen scheinbar objektive Phänomene in psychische Verwirrungen über und umgekehrt. Fix ist gar nichts. Idyllen, Beziehungen, Gesundheit, Berufe und Gefühle, alles kann über Nacht verschwinden. – Das Ganze ist unheimlich wahr!

Ulrike Kotzina, Verschwunden. Roman.
Innsbruck: Edition Laurin 2015, 331 Seiten, 22,90 €, ISBN 978-3-902866-30-1

 

Weiterführender Link:
Edition Laurin: Ulrike Kotzina, Verschwunden

 

Helmuth Schönauer, 12-10-2015

Bibliographie

AutorIn

Ulrike Kotzina

Buchtitel

Verschwunden

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Edition Laurin

Seitenzahl

331

Preis in EUR

22,90

ISBN

78-3-902866-30-1

Kurzbiographie AutorIn

Ulrike Kotzina, geb. 1970 in Wien, lebt in Purkersdorf.