Zlatko Pakovic, Die gemeinsame Asche

Der Begriff Antiroman lädt die Leserschaft ein, vor der Lektüre zu reflektieren, was mit dieser fiktionalen Antimaterie wohl angesprochen werden könnte.

Zlatko Pakovic zieht das Projekt Antiroman sehr konsequent durch. Alles, was in einem üblichen Familien- oder Sippschaftsroman dargestellt wird, wird hier ausgeblendet. Man stelle sich einfach die Buddenbrooks ohne Buddenbrooks vor, dann ist man der dargestellten serbischen Familie schon ziemlich auf der Spur.

Schon der Start ist fulminant und gleicht einem Schöpfungsbericht aus Antimaterie. „Als er noch kein Sohn war, als sein Vater noch kein Vater war, als Vaters Vater noch kein Vater war, und so weiter ins Unendliche, bis zu einem ungeborenen Jemand.“ (9) Aus diesem Nichts entwickelt sich die Generationen überlappende Figur Igor, der zuerst im Garten bei seinem Vater das Erwachen der Welt in Gestalt eines Tautropfens lernt, dann selbst Vater und Großvater wird, immer das gleiche Spiel, immer diese Ehrfurcht vor dem heutigen Tag, und dennoch im Loch der Zeitlosigkeit gefangen.

Auf dieser Achse tut sich letztlich nichts, außer dass Chromosomen durch die Zeit schwirren jenseits von politischen Zuständen und geographischen Fixierungen. Bevor der Vater ins Koma fällt, fragt er den Sohn, wer bist du?

Die sogenannte Gegenwart taucht in Gestalt von Frauen auf, einmal ist es die Emigrantentochter eines dieser Väter, die in Australien jenseits aller Heimaten und patriotischen Rituale lebt. Die Heimführung veranstaltet schließlich die Enkelin, die über dem Zusammenfluss von Donau und Save sitzt, ein Gedicht schreibt und das Blatt sorgfältig faltet für die Ewigkeit.

In diesen Rahmen von Vergehen, Emigration und Verlöschen in der Heimat sind als Fußnoten die einzelnen Begebenheiten eingeflochten. Diese Geschehnisse sind so marginal und dem großen Zeitfluss untergeordnet, dass sie nur als Randnotiz im Antiroman Platz nehmen dürfen.

In der Erinnerung ist alles zeitgleich. (16)

Als kleines Laufband am unteren Rand der Seiten springen Träume auf, Briefausrisse kommen zum Vorschein, die Furche einer Innen-Handfläche, die über Jahrzehnte gedrückt wird, während die Außenhaut verwest. In Vaters Hinterlassenschaft findet der Sohn Dinge über sich selbst, die er schon längst vergessen hat.

Die beiden Großepisoden in der alten und neuen Welt gehen jeweils mit einem erfundenen Schlaflied zu Ende, von dem es zwar eine Notenschrift als Faksimile gibt, das aber in dieser Form noch un-komponiert ist. Die Aschen der Familien-Urnen werden schließlich zusammengeführt und zu einer vermengt.

Zlatko Pakovic beschreibt die Einmaligkeit des Individuums, die Heftigkeit der jeweiligen Gegenwart und die Heimat an einem unverrückbaren Punkt genau dadurch, dass er alles diese Begriffe auflöst. Ein Schöpfungsbericht aus dem Nichts, der zur großen Einmaligkeit des Individuums führt.

Zlatko Pakovic, Die gemeinsame Asche. Antiroman. A. d. Serb. von Mascha Dabic. [Orig.: Zajednicki pepeo, Belgrad 2008].
Berlin: Dittrich (Edition Balkan) 2013. 64 Seiten. EUR 14,80. ISBN 978-3-943941-23-4.

 

Weiterführender Link:
Dittrich Verlag: Zlatko Pakovic, Die gemeinsame Asche

 

Helmuth Schönauer, 28-10-2013

Bibliographie

AutorIn

Zlatko Pakovic

Buchtitel

Die gemeinsame Asche. Antiroman

Originaltitel

Zajednicki pepeo

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Dittrich Verlag

Übersetzung

Mascha Dabic

Seitenzahl

64

Preis in EUR

14,80

ISBN

978-3-943941-23-4

Kurzbiographie AutorIn

Zlatko Pakovic, geb. 1968, lebt in Belgrad.