Hannelore Valencak, Das Fenster zum Sommer
Kann man die Vergangenheit planen wie die Zukunft? – Das ist vielleicht die schlimmste Situation, in die jemand geraten kann: Man wacht auf und ist in der falschen Zeit wie im sprichwörtlich falschen Film.
In Hannelore Valencaks Roman „Das Fenster zum Sommer“ wacht die Ich-Erzählerin Ursula eines Morgens auf und ist in die Vergangenheit zurückgeworfen. Eben noch war sie glücklich verheiratet, jetzt liegt sie wieder im dumpfen Kabinett bei der böswilligen Tante, wird zum Aufstehen gedrängt und geht auch brav in ihr ehemaliges Büro, wo der Alltag bissig einsetzt wie in Büros üblich.
Während sich die Hauptfigur den Übersetzungen für Firmenangebote hingibt, dämmert ihr, dass das alles ernst ist. Die Suche nach ihrem Mann bringt nichts, denn dieser kennt sie nicht, die Zeitfalle ist perfekt. - Üblicherweise arbeiten Paare an der Zukunft, aber in diesem Fall muss die Erzählerin wohl die Vergangenheit ordnen, damit daraus eine erträgliche Gegenwart entstehen kann.
Wie in Horrorgeschichten üblich, wird naturgemäß alles nur schlimmer und unlösbarer, je mehr man in die Planungen eingreift. Dabei ist Ursula eine recht planende Frau, die fallweise auch Gefühle und Erwartungen wie am Reißbrett entwickeln kann. „Nun aber ließ sich alles ganz anders an. Ich musste den Grundriss meiner Erwartungen ändern.“ (155/156) Wenn das bereits gelebte Leben nicht funktioniert hat, dann muss man es eben anders machen, nicht umsonst liegt in dieser grotesken Zeitverschiebung eine neue Chance.
Ursula versucht mit ihrer Tante ins reine zu kommen, aber eine Übersiedlung klappt nicht, die Flugbahn der gestörten Beziehung lässt sich offensichtlich nicht verändern. Am Arbeitsplatz jedoch hilft das forsche Vorgehen. Einmal richtig auf den Tisch gehauen und die ganze Arbeitssituation wird clean. Freilich ist der Ausgang ungewiss, als vorwitzige Leser ahnen wir, dass sich da wahrscheinlich eine neue Beziehung mit einer grauen Büromaus anbahnt, vielleicht erwischt Ursula dieses Mal die richtige Zeitschleife.
Der Roman „Fenster zum Sommer“ hat ein ähnliches Schicksal erlebt wie die Hauptfigur Ursula, er wurde aus der Literaturgeschichte hinausgeweht und in ein völlig anders Zeitfenster der Wahrnehmung gestellt. 1967 unter dem Titel „Zuflucht hinter der Zeit“ erschienen war er bald verschollen. Hannelore Valencak hatte eben nicht das Glück Marlen Haushofers, deren Roman „Die Wand“ immer wieder neu aufgelegt und in einem aktuellen Kontext gelesen wird, meint im Nachwort Evelyne Polt-Heinzl.
Schließlich sind wir Leser auch in dieser Zeitschleife, wir lesen den 2006 neu aufgelegten Roman mit den Augen von 1967 und wundern uns gar nicht, wie wir alles schon einmal „wie damals“ erlebt haben.
Hannelore Valencak, Das Fenster zum Sommer. Roman. [EA: Zuflucht hinter der Zeit, 1967].
St. Pölten: Residenz 2006. 255 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-7017-1448-3.
Weiterführende Links:
Residenz-Verlag: Hannelore Valencak, Das Fenster zum Sommer
Wikipedia: Hannelore Valencak
Helmuth Schönauer, 18-01-2007