Bernhard Salomon (Hrsg.), 17 Jahre ohne Sex
Manche Lebenskulturen lassen sich auf einen einzigen Sager zusammenfassen: 17 Jahre ohne Sex! - diese Lebensbeichte der Balletteuse Daggi Koller lässt auch ihren Mann Helmut Zilk wonniglich nicken.
So ist das also, das Leben, mit jedem Furz ist man als berühmte österreichsche Persönlichkeit im Fernsehen und dann gibt’s keinen Sex.
Die Geschichten aus einem herunter gekommenen Wiener Stundenhotel handeln von den Namenlosen, die nie in der Zeitung stehen, dafür aber offensichtlich Sex haben. Bernhard Salomons Reader über den Alltagssex an der Peripherie der Öffentlichkeit versammelt zwölf Geschichten von jungen, potenter und sexuell aufgeschlossenen Österreichischen Autorinnen und Autoren. Dazwischen eingelagert sind Lebensbeichten, Interviews mit Heldinnen und Helden der Prostitution, verschmitzte Lebenszusammenfassungen von Überlebenskünstlern.
Die Berichte aus der realen Lebenswelt sind dabei mindestens so spannend und ungewöhnlich wie die literarischen Beiträge. Da ist von Schüssen in der Nacht die Rede, von der Reise ins Gefängnis und nie wieder zurück, von der geduckten Liebe zwischen den Zigarettenkippen am Vorraum, von der Anspannung, die entsteht, wenn man mit der U-Bahn ins Stundenhotel fährt, vom Verlauf der Zeit, die den Vorteil hat, dass man als ihr Passagier nicht mehr alles mitbekommen muss und die das Ende offen lässt.
Die literarischen Beiträge haben ordentlich Mühe, mit dieser Realität mitzuhalten. Die sexuell auserwählten und angesprochenen Künstler legen meist ihre Recherchen in die Nähe des Stundenhotels oder sie stülpen die erprobten Verfahrensweisen ihrer Kunst über das angesprochene Hotel Bauer. Aus der zeitlichen und sozialen Entfernung zwischen den Künstlern und dem sexuellen Territorium entsteht so eine Literatur der milden Schärfe und des emphatischen Wohlwollens.
Neben Thomas Ballhausen, Peter Landerl, Doris Mitterbacher und Bernadette Schiefer machen auch die beiden Tiroler Autoren Markus Köhle und Jörg Zemmler von ihrem Recht auf gute Literatur Gebrauch. Wie fast alle Autorinnen des Bandes nähern sich auch Köhle und Zemmler dem Thema mit schlaksigen Mitteln des Poetry-Slam. Skurrile Pointen werden dabei ansatzlos auf einen unauffälligen Alltagsboden gesetzt, der sich dadurch gleich auf den Schlips getreten fühlt. I
n Markus Köhles „Filmriss“ gibt es so schöne Dinge wie die Aftermaus, den Bauerswing oder die Handicapthese: „Denn in der Prärie / findet man Hallenbäder selten bis nie.“ (85) Bei Jörg Zemmler ist anfangs alles verkehrt „das dach ist unten“ (265), ehe sich durch vortreffliche Maßnahmen im Hotel Bauer die Stunden wieder im grünen Bereich bewegen.
Alles in allem eine tolle Sozialreportage mit fiktionalem Überschwang, als Leser ist man durchaus angetörnt von diesem wahren Museum der Lüste, Bilder und der grenzenlosen Üppigkeit.
Bernhard Salomon (Hg.), 17 Jahre ohne Sex. Geschichten aus einem Wiener Stundenhotel. Mit Texten von Markus Köhle, Jörg Zemmler u.a. Fotos von Gregor Dujmic.
Wien: edition a 2005. 296 Seiten. EUR 14,90. ISBN 978-3-900037-10-9.
Weiterführender Link:
Edition a: Bernhard Salomon (Hg.), 17 Jahre ohne Sex
Helmuth Schönauer, 13-02-2007