Ludwig Roman Fleischer, Die Enterbung
Wer glaubt, er ist, was er ist, täuscht sich gewaltig. Im Zeitalter der genetischen Nachverfolgung der Vorfahren entpuppt sich so mancher Stammbaumhalter als formidables Kuckuckskind.
So erwischt auch den Kulturjournalisten Michael Zbornik am Ende seiner Tage noch das große Reinemachen. Mit dem zittrigen Fieber Marke "subfebril" wird er ins Krankenhaus eingeliefert und kriegt von seinem befreundeten Leibarzt die niederschmetternde Prognose, dass er nicht mehr lange zu leben hat.
Wie alle Menschen, die scheinbar etwas zu vererben haben, versucht der todkranke Journalist, alles so zu hinterlassen, wie es für die Annalen vielleicht am sympathischsten ist. Dazu muss das bisherige Leben ziemlich ausgeräumt und entschlackt werden, denn die gesamte Familiengeschichte ist zusammen gestohlen, oder, um es sympathischer zu formulieren, aus dem Reisekatalog schöner Familienversatzstücke zusammenkomponiert.
So ist der eigene Sohn natürlich adoptiert und seine biologischen Eltern sind das Extremste, was sich im Kunstbetrieb denken lässt. Die Mutter war eine tuwinische Extremsängerin und der Vater ein jüdischer Selbstmörder.
Während der Kranke nun im Kopfhörer tuwinisch schrille Extremmusik in den geschundenen Körper einträufeln lässt, kommt ihm das Leben seines Adoptivsohnes extrem schrill österreichisch vor. Er ist offensichtlich leicht rechtsextrem, gewöhnlich und geistig nicht gerade sehr zukunftsfroh. Aber mit seiner zusammengeflickten Biographie passt er wahrscheinlich genau in ein Land, das seine Geschichte jeweils aus einem Fleckerlteppich exotischer Haderlumpen zusammensetzt. Kann man so einen Menschen überhaupt enterben? Da müsste man ja sich selbst von der eigenen Geschichte enterben?
Der Roman filetiert nach der Art eines Stammbaums das fahle Fleisch vom Gerippe der Familie. Väterlicherseits, mütterlicherseits, elterlicherseits und kindlicherseits arbeitet jeder an einem Lügengebäude, um sich darin halbwegs kommod einnisten zu können. Zwischen den Überlebenssätzen zum Alltag sind immer wieder raffinierte Fragen und rustikale Raritäten eingestreut. Etwa warum ist Jesus das Produkt einer Jungfernzeugung? (33) und warum ist ein fetter Hammelschwanz bei den Tuwaren ein Kompliment?
Ludwig Roman Fleischer erzählt eine Familiensaga der heroischen Hilflosigkeit und der unmäßigen Übertreibung. Wenn schon ein ganzes Land seine Geschichte ständig mit Lügen-Updates auffrischt, wie soll dann ein normales Familienmitglied mit seiner Geschichte zu Rande kommen, zumal ja jede Familie das ideale Klangbecken von hohlen Tönen ist.
Ludwig Roman Fleischer, Die Enterbung. Roman.
Klagenfurt: Kitab 2007. 179 Seiten. EUR 15,-. ISBN 978-3-902005-83-0.
Weiterführende Links:
Kitab-Verlag: Ludwig Roman Fleischer, Die Enterbung
Wikipedia: Ludwig Roman Fleischer
Helmuth Schönauer, 08-05-2007