Sibylle Hamann, Dilettanten unterwegs

Buch-Cover

Angesichts von großen Ereignissen wird jeder Journalist zu einem Dilettanten, denn es gibt keine ultimativen Richtlinien, wie man zu Unglücken, Kriegen, Katastrophen oder gesellschaftlichen Sausundbraus-Ereignissen Stellung nehmen soll.

Die „profil“-Journalistin Sibylle Hamann stellt in ihren vier Journalismus-Vorlesungen die markantesten Stil- und Sinnbrüche des weltweiten Auslandsjournalismus zur Debatte.

  • "Sehen und gesehen werden" erzählt vom Mythos der Reportage vor Ort. In die heißen Gebiete dringt ohnehin kein Journalist vor, und wo Journalisten sind, ist das Weltbild bereits vorgeformt. In einer kleinen Episode etwa wird gezeigt, wie das Jahrhundertereignis Nine-eleven im westlichen Kulturkreis als Katastrophe, im peripheren Weltkreis jedoch als Randereignis wahrgenommen wird. Das Authentische vor Ort hat immer auch etwas künstlich Gemachtes an sich, man sehe sich nur einmal das Equipment an, mit dem große Fernsehstationen ihre Beiträge nach einem Cinemascope-Drehbuch aufnehmen. Die Reportage vor Ort ist meist eine vollkommene Inszenierung.
     
  • "Die Armen und die Toten", wie viel Mitleid tut der Wahrheit gut? Im Zusammenhang mit Nachbar in Not wird gezeigt, dass Emotionen nach einem Drehbuch geschürt werden müssen. So hat man etwa in Österreich das gesammelte Geld heimlich den „bösen“ Serben übermittelt, während die „braven“ Albaner das Geld offiziell und vor laufender Kamera bekommen haben. Journalismus dient immer wieder als Emotionsmaschine, um die richtige Stimmung für Konflikte zu erzeugen.
     
  • "Wort, Bild und Lüge" – eine schwer gestörte Dreiecksbeziehung. Sibylle Hamann stellt die These auf, dass Wort und Bild nie zusammenpassen, weil sie in unterschiedlicher Entfernung zum Schauplatz entstehen. Während der Kameramann mit Tunnelblick in der Kamera zum Tatort vorstürmt, sitzt der Wortjournalist in der Etappe und unterlegt die geschossenen Bilder mit mehr oder weniger scharfen Worten. Wort und Bild sind letztlich Elemente eines Spielfilms, der sich als journalistischer Beitrag ausgibt.
     
  • "Hypes und schwarze Löcher": Was in der Zeitung steht und was nicht. Bereits mit der Auswahl eines Beitrags wird die Wahrheit geopfert. So müssen Beiträge auch dann produziert werden, wenn nichts los ist. Gerade die saure Gurkenzeit zwingt die Journalisten zu spekulativen Geschichten, die sich manchmal als Selbstläufer entwickeln. Verschiedene Seuchen können so während des Sommers zu einer Bedrohung werden und hören dann pünktlich auf, wenn wieder echt was los ist.

Sibylle Hamann erzählt in diesen Poetik-Vorlesungen des Journalismus ungeschminkt und cool vom Geschäft des Journalismus. Alles ist gemacht, nichts ist zufällig, lautet ihre Botschaft. Die Konsumenten sind eingeladen, Journalismus zu konsumieren, schließlich geben sie ja Geld aus für Nachrichten und Magazine. Aber das Publikum soll sich bewusst sein, dass die Wahrheit in Wirklichkeit ganz anders abläuft, als es uns die Journalisten in aller Welt weismachen wollen. Viele Dilettanten sind zwar unterwegs, die echten Dilettanten sitzen aber vermutlich zu Hause, während sie Nachrichten konsumieren.

Sibylle Hamann, Dilettanten unterwegs. Journalismus in der weiten Welt.
Wien: Picus 2007. 175 Seiten. EUR 14,90. ISBN 978-3-85452-620-9.

 

Weiterführende Links:
Picus-Verlag: Sibylle Hamann, Dilettanten unterwegs
Wikipedia: Sibylle Hamann

Helmuth Schönauer, 06-07-2007

Bibliographie

AutorIn

Sibylle Hamann

Buchtitel

Dilettanten unterwegs. Journalismus in der weiten Wel

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Picus

Seitenzahl

175

Preis in EUR

14,90

ISBN

978-3-85452-620-9

Kurzbiographie AutorIn

Sibylle Hamann, geb. 1966 in Wien, ist Redakteurin beim „profil“.