Ivana Jeissing, Unsichtbar
Unsichtbar ist ja eine doppelte Eigenschaft, einmal die des Objekts, dass man etwas nicht sieht, und zum andern jene des Subjekts, dass man selbst nicht gesehen werden will.
In der Liebe, im Flirt, in der Ehe und in allen gesellschaftlichen oder philosophischen Formen des Zusammenbandelns zwischen Männern und Frauen geht es um dieses permanente Wechselspiel von Unsichtbarkeiten.
Im Mittelpunkt diverser Unsichtbarkeiten steht Jane Terry. Sie hat ihre Lust, unscheinbar bis unsichtbar zu sein, vermutlich von ihren Eltern, die nur Augen, Rotz und Ohren für ihren Beruf hatten, sie waren nämlich beide HNO-Ärzte. Der ständige Umgang mit verstopften und erkrankten Sinnesorganen zwingt offensichtlich dazu, die Wahrnehmung einzustellen und dadurch geschützt und unsichtbar zu werden.
Das Zauberwort ‚unsichtbar’ begleitet die Heldin durch alle ihre Beziehungen. Ihren Mann Peter heiratet sie bloß, weil er sie auf einem Picasso-Bild als nicht vorhandene Person ausgemacht hat. So unerkannt-erkannt fühlt man sich oft nur in Sternstunden der schläfrigen Erkenntnis. Peter schläft auch pflichtgemäß vor der Hochzeitsnacht ein.
Dafür bastelt er ständig an Liebschaften herum. Eine tolle Form, etwas zu verschleiern, was dann doch da ist, besteht im Leugnen von Affären. Während Jane ihrem Peter zuschaut, wie er seine Geliebte abschmust, schreibt dieser ständig SMS, wonach er sich auf Geschäftsreise befände.
Diese Verlogenheit zwischen unsichtbaren Storys macht ja das wahre Wesen einer Affäre aus.
Da ist der tapfere Fred, der ein Kino betreibt, ein wahrer Realist, weil er professionell mit Fiktionen und Filmen handelt. Kann ein Plakat einem Film entsprechen, wie die Anmache einer Beziehung?
Unter dem Eindruck dieses Illusionisten fallen auch so schöne Sätze wie: „Ehe muss Energie erzeugen, sonst ist sie sinnlos.“
Liebe kommt nicht von selbst. Sich verlieben kommt von selbst. Aber das verwechseln wir sehr gern. (40)
Im Wechselspiel zwischen sichtbar und unsichtbar findet Jane Terry jedenfalls allmählich zu ihrer Persönlichkeit. Sie legt den Hebel zwischen diesen beiden Zuständen mit der Zeit im richtigen Moment um, erscheint einem längst verlorenen Liebhaber als Frau und stoppt einen geschwätzigen Anmacher, wenn es genug ist.
Wir müssen mit den Zuständen spielen, ehe sie mit uns spielen, scheint die Botschaft dieses Romans zu lauten und kommt damit schon spritzig perlend an das alte Arthur Schnitzler Motto heran, wir spielen alle, wer es weiß ist klug.
Ivana Jeissing schickt ihre Figuren locker durch die Rituale der Beziehungskiste, erzählt verschmitzt und scheinbar arglos, und setzt die Ästhetiken einer HNO-Verstopfung, des Handys, einer verlogenen TV-Übertragung und den äffischen Diskurs über die Unsichtbarkeit in Gemälden gekonnt ins Bild.
Ivana Jeissing, Unsichtbar. Roman.
Zürich: Diogenes 2007. 222 Seiten. EUR 18,90. ISBN 9783-257-06565-7.
Weiterführende Links:
Diogenes-Verlag: Ivana Jeissing, Unsichtbar
Wikipedia: Ivana Jeising
Helmuth Schönauer, 21-06-2007