Merle Rüdisser, Das Ideengefäß

Buch-CoverKluge Schriftsteller sollen beizeiten mit dem Schreiben aufhören, wenn sie schon lange leben müssen. - So in etwa könnte die Moral von diesem Sachbuch lauten, das sich mit dem Leben und Schreiben des ehemaligen DDR-Schriftstellers Hermann Kant beschäftigt.

Idealerweise stirbt man als Schriftsteller für die Germanistik als junger, vom Leben oder der Gesellschaft verbrauchter Autor, wie es uns N.C. Kaser vorgemacht hat, oder man lässt sich rechtzeitig von einem Auto überfahren, wie Rolf Dieter Brinkmann, damit man mit dem schönen Satz in die Literaturgeschichte eingehen kann.

er wollte auf die andere Seite, kam aber nie dort an.

Merle Rüdissers Arbeit ist natürlich sachlich, klar und durchaus schlüssig. Nach einem kurzen Lebenslauf des Hermann Kant werden seine wichtigsten Werke wie Aula, Impressum, Abspann, Kormoran, Kino und Okarina vorgestellt und anhand von Zeitzeugen und Rezensenten gewürdigt.

Dabei schneidet Hermann Kant nicht gerade sensationell gut ab. Als Präsident des Schriftstellerverbandes in der DDR hat er wohl so manches auf dem Kerbholz, das er jetzt hintennach partout nicht mehr wissen will. Sein Werk ist meist eng an die eigene Biographie geknüpft, er verwendet nur ein kleines Figurenset und stattet die Helden meist mit Elementen der eigenen Lebensgeschichte aus. Und literarisch geht auch allerhand daneben, meist erklären die Figuren zu viel, oft verirrt sich der Autor in seiner eigenen Erzählstrategie.

Merle Rüdisser hat folglich den Titel ihrer Arbeit süffisant treffend gewählt Das Ideengefäß. Damit ist eigentlich alles gesagt, ein großer literarischer Topf steht für die Zubereitung von Texten bereit, aber die Zutaten sind nicht immer die richtigen.

Neben der literaturwissenschaftlich abgesicherten Herunter-Würdigung lassen sich auch moralische Anforderungen aus dem Sachbuch herauslesen. Also wenn ein Dichter schon in der DDR geschrieben hat, sollte er sich wenigstens entschuldigen und nicht in Altersstarrsinn verfallen. Irgendwie erinnert dieses Betteln um Lauterkeit an die Unschuld der Nachgeborenen, die einst von ihren Vätern mit aller Gewalt eine Entschuldigung für die Hitlerei haben wollten.

So weit so gut, die literaturhistorische Aufarbeitungskarawane ist also jetzt bei 1990, dem Ende der DDR, angekommen. Mit unverhohlener Häme wird erzählt, wie die ehemaligen Schweine der DDR mittlerweile zu armen Erzählschweinen geworden sind.

Dabei könnte man durchaus ein paar milde Gedanken einstreuen. Ist nicht jeder Autor fertig, wenn er lange genug schreibt? Sind nicht auch in unserer Bestsellerwütigen Literatur Hunderte Hermann Kants unterwegs? Ist nicht jedes zweite Buch, das uns in klagenfurtischen Talkshows vorgetragen wird, von der pragmatischen Schlichtheit eines SED-Dichters?

Also ich möchte als Dichter nicht alt werden, und schon gar keinen Regimewechsel mitmachen müssen. Der kluge Dichter nämlich hört auf zu schreiben, solange er den Germanisten noch als Genie gilt.

Merle Rüdisser, Das Ideengefäß. Sachbuch.
Innsbruck: Limbus 2007. 162 Seiten. 16,20. EUR. ISBN 978-3-902534-03-3.

 

Weiterführender Link:
Limbus-Verlag: Merle Rüdisser, Das Ideengefäss

 

Helmuth Schönauer, 25-09-2007

Bibliographie

AutorIn

Merle Rüdisser

Buchtitel

Das Ideengefäß

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Limbus

Seitenzahl

162

Preis in EUR

16,20

ISBN

978-3-902534-03-3

Kurzbiographie AutorIn

Merle Rüdisser, geb. 1981, lebt in Hohenems und Innsbruck.

Hermann Kant, geb. 1926 in Hamburg, lebt in Prälank bei Neustrelitz (Mecklenburg)