Andreas Renoldner, Unter die Haut

Buch-CoverWas für ein sinnlich gruseliger Titel! - Unter die Haut geht bekanntlich alles, was man an Schrecken und Gefühlsexplosion als Inhaber eines Körpers noch nicht richtig einem Sinnesorgan zuordnen kann, und unter die Haut wird im medizinischen oder Junkie-Bereich alles gespritzt, was nicht in die Venen gehört.

Andreas Renoldner bringt für seine verspielt kühle Liebesgeschichte einen Erzähler in Stellung, der immer wieder ins lyrische Du hinüberwechselt, aber dann doch recht ernüchtert unter seine eigene Haut schlüpft, in der er manchmal gar nicht stecken will.

Alle Liebesgeschichten sind nach einem ewigen Grundmuster gestrickt: Entflammung, Ernüchterung, Durchhalten, Abschwellung.

In Andreas Renoldners Roman sind die Kapitel minutiös aufgeführt, man denkt unwillkürlich an die Genauigkeit einer Katastrophenuhr, wenn es etwa zu Beginn heißt: 16. Februar, 23:58:56. Diese Genauigkeit der Zeitangabe widerspricht dem weiten Gefühl der Liebe, die sich flächendeckend zeitlos nieder gelassen hat. Die Liebe wird umhüllt von einer gemeinsamen Haut, die freilich immer wieder aufreißt: Zum Vorschein kommt das größte Sinnesorgan des Menschen, die Haut, die sich erotisch betreuen lässt und dabei ganze Drehbücher an Sinnlichkeit verschlingt.

Nachdem die Liebe hochgefahren ist, rückt der Alltag an, die Haut kann bedrohlich werden, weil sie an allen Ecken und Enden vereinsamt, während nur mehr die nötigsten Handgriffe der Erotik geschehen. Mit der Zeit häufen sich die Krisen, die Frau verlässt das gemeinsame Bett und hängt in ihrem Zimmer das Hotelschild auf: Bitte nicht stören! Jetzt wird es für den Erzähler Zeit, einen neuen Status zu definieren, die Liebe wird abgeklärt und flüchtet sich in den schönen Satz: Das Schlimmste ist vorbei!

In diese ergreifende Love-Story, die wörtlich unter die Haut geht, ist eine Gegenwelt der Steppe eingelagert. Der Erzähler hört immer wieder Stücke aus weiten, wüsten Gegenden, die genauen Zeitangaben sind vielleicht auch ein sendetechnischer Hinweis, dass jetzt das Hörspiel bald zu Ende sein wird, denn bei Hörspielen geht es immer um Sekunden.

Wenn die Zweierbeziehung die innigste Gemeinschaft ist, die sich für Momente denken lässt, so ist eine Steppengemeinschaft die weiteste und pragmatischste. In der Einöde eine Stadt zu bauen und an die Zukunft zu denken, braucht klaren Willen und heftige Lebenslust. Eine Wüstengemeinschaft ist vielleicht die sinnlichste Form des Zusammenlebens und nicht umsonst tragen alle weit ausholenden Gedanken die Luft der unendlichen Steppe in sich.

Der Erzähler hört sich fast täglich diese Steppenhörspiele an und kommt resignierend zum Schluss:

Die Geschichten aus den Steppenländern haben mit deinem Leben nichts zu tun. (91)

Unter die Haut ist ein märchenhaft realistischer Roman über die Liebe im Alltag, über jene fernen Träume, die aus entlegenen Sendern nachts an unser Ohr dringen, und über die Unmöglichkeit, aus der eigenen Haut zu schlüpfen und bei jemand anderem unterzukriechen. Gefühle können zwar unter die Haut gehen, aber wir können als Ganzes unter keiner Haut Unterschlupf finden. - Ein merkwürdig naher Steppen-Roman!

Andreas Renoldner, Unter die Haut. Roman.
Klagenfurt: Kitab 2007. 136 Seiten. EUR 15,--. ISBN 978-3-902585-02-8.

 

Weiterführende Links:
Kitab-Verlag: Andreas Renoldner, Unter die Haut
Kitab-Verlag: Biographie Andreas Renoldner

 

Helmuth Schönauer, 08-10-2007

Bibliographie

AutorIn

Andreas Renoldner

Buchtitel

Unter die Haut

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Kitab

Seitenzahl

136

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-902585-02-8

Kurzbiographie AutorIn

Andreas Renoldner, geb. 1957 in Linz, lebt in Wien.