Curzio Malaparte, Die Haut

Buch-CoverWarum ist Malapartes "Haut" sechzig Jahre nach ihrem Erscheinen immer noch fassungslos wild und aufregend? - Vielleicht, weil der Erzählstandpunkt als immer noch aufreizend vage empfunden wird, und weil an allen Kriegsschauplätzen der Welt die Frage brisant ist, wie kippt Kultur während einer Besatzung in Unkultur.

Der Roman Die Haut ist ein Text voller expressionistischer Kulturphilosophie, politischer Tagesbeurteilung, durchsetzt mit verbaler Überhitzung und derangiertem Heldentum.

Der Icherzähler reist mit einem befreundeten amerikanischen Offizier durch die frisch besetzten Landstriche rund um Neapel und beschreibt dabei den Überlebenskampf der heimischen Bevölkerung. Ausbrüche des Vesuv mischen sich in die Kämpfe, die Lava aus Gestein und Munition wälzt sich durch das Land.

Der in heftiger Sprache aufgekochte Roman kümmert sich vor allem um drei Themen:

  • Rettung der eigenen Haut. Die Menschen sind zu allem fähig, wenn es darum geht, die eigene Haut zu retten, diese widerliche Haut (157). Unter diesem Aspekt bieten Väter ihre Töchter an, damit die Soldaten gegen ein geringes Entgelt die Unschuld betasten können. Während der Preis für das sogenannte Fleisch der Prostitution stündlich fällt, steigt jener für das Fleisch des Verzehrs. Aus allen Gegenden kommen täglich die Leute in die Stadt, um sich mit den Besatzern zu arrangieren und ihnen zu Diensten zu sein, pervers ist dabei gar nichts, weil alles pervers ist.
  • Philosophie und Besatzung. Die Besiegten regieren die Welt (76), heißt es markant zusammengefasst. Wir waren lebende Menschen in einer toten Welt (409) Während Erzähler und Befreiungsoffizier durch die devastierten Gebiete strolchen, reden sie über ihre Lieblingsphilosophen, halten intensive Fachgespräch zur Kultur ab und setzen diesen hehren Gedanken den trivialen Alltag des Überlebens entgegen. Sobald die Protagonisten über Gedankenspiele reden, wird zu ihren Füßen um das Brot des Überlebens gerauft.
  • Elend der Berichterstattung. Ich war es müde, zuzusehen, wie Menschen umgebracht wurden. Seit vier Jahren tat ich nichts anderes, als zuzusehen, wie Menschen umgebracht wurden. (378) Der Erzähler hat einen geradezu sensationell freien Zugang zu den Geschichten. In Rückblenden erinnert er sich an Episoden in der Ukraine, bei allen Begebenheiten trifft er auf die Machthaber oder tonangebenden Leute. Zwischen den Zeilen bleibt unklar, wie oft dieser Berichterstatter wohl die Seiten gewechselt haben muss, nicht bloß um seine eigene Haut zu retten.

Der Roman Die Haut ist immer noch brandaktuell. Jeder GI im Irak wird sich die Frage stellen, mit welchem Kulturbewusstsein er dort den Bush-Krieg führt. Für Liebhaber eines explosiven Stils ist der Erzähl-Machismo Malapartes eine Sache, die nicht kalt lässt. Und wie hintergründig gefährlich und unausgeleuchtet jede Form von Kriegsberichterstattung ist, zeigt das aktuelle Literarturereignis mit Tiroler Beteiligung, als Norbert Gstrein im Zusammenhang mit seinem Roman, der einen Gabriel Grüner Vorspann aufweist, die lapidar wichtige Frage stellt: Wem gehört eine Geschichte?

Curzio Malaparte, Die Haut. Roman. A. d. Ital. von Hellmut Ludwig. Nachwort von Thomas Steinfeld, Zeittafel von Ralph Jentsch. [Orig.: La Pelle, Rom & Mailand 1949].
Wien: Zsolnay 2006. 443 Seiten. EUR 25,90. ISBN 978-3-552-05368-7.

 

Weiterführende Links:
Zsolnay-Verlag: Curzio Malaparte, Die Haut
Wikipedia: Curzio Malaparte

 

Helmuth Schönauer, 13-10-2007

Bibliographie

AutorIn

Curzio Malaparte

Buchtitel

Die Haut

Originaltitel

La Pelle

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Zsolnay

Übersetzung

Hellmut Ludwig

Seitenzahl

443

Preis in EUR

25,90

ISBN

978-3-552-05368-7

Kurzbiographie AutorIn

Curzio Malaparte Kurt Erich Suckert), geb. 1898 in Prato nahe Florenz, starb 1957 in Rom. Der Künstlername Malaparte soll das Gegenteil von Bonaparte bedeuten.