Guy Helminger, Morgen war schon

Buch-CoverTaxifahrer sind die Geschichtenträger einer Stadt, wo sie auftauchen passiert etwas, und wenn etwas passiert ist, wird es meist von einem aufgeregten Fahrgast dem erstbesten Taxilenker erzählt.

Guy Helmingers Roman beginnt mit einer klassischen Taxiszene in Köln , ein paar seltsame Figuren wollen eine ungewöhnliche Fahrt buchen, doch der Held hat nichts dergleichen im Sinn, er pflegt seine Plüschtiere am Fahrgastsitz und gibt sich abweisend.

Gleich darauf werden wir mit einer Frau bekannt gemacht, die die zweite Schicht fährt. Und als wir schon glauben, es handle sich hier um eine Fuhrparksgeschichte, explodiert das Ganze nach innen.

Der Held Felzer verdankt seinen Namen einem Artikulkationsfehler, er sollte eigentlich Pfälzer heißen, weil seine Vorfahren aus der Pfalz kamen und sich irgendwo in Köln niedergelassen haben. Seine Frau Louise geht das Leben sehr betulich an, tickt immer eine Spur hintennach und hat nichts anderes im Sinn, als endlich einmal ans Ende der Welt nach Neuseeland zu fahren.

Während sich draußen die Stadt als Taxilandschaft entfaltet, purzeln die inneren Familiengeschichten ans Tageslicht. Die Erstbegegnungen der mittlerweile verheirateten und geschiedenen Personen sind durchaus ungewöhnlich. Offensichtlich ist für jeden Menschen seine Erstbegegnungsgeschichte mindestens so intensiv wie ein Spielfilm. Bei der Weitläufigkeit einer durchschnittlichen Verwandtschaft kann man sich ausmalen, was in der Umgebung von Felzer und Louise alles an Dramen und aufregenden Stories unterwegs ist. Andererseits ist auch das Ableben der Menschen meist etwas Besonderes. In der Verwandtschaft kommt es zu ungewöhnlichen Todesfällen und Unglücken. Je gewöhnlicher ein Mensch lebt, umso dramatischer fallen Liebe und Tod bei ihm aus, könnte man zusammenfassen.

Ab der Mitte des Romans entwickelt sich dann eine einmalige Lebensgeschichte. Felzer und Louise werden Eltern. Wie sie es vom Geschichtenerzählen aus der Vergangenheit gelernt haben, entwickeln sie bereits eine Geschichte für das Kind in die Zukunft. Der Fötus wird als Persönlichkeit umsorgt und Lennart getauft, nebenbei gibt es die üblichen Schwangerschaftsturnereien und das Kinderzimmer wird aufgemöbelt und hoch gefahren. Doch alles entwickelt sich anders, das Kind hat einen schweren Organfehler, wird operiert und irgendwann werden die Beatmungsgeräte abgestellt.

Der Arzt versucht zu trösten, es gäbe ja ein Morgen und man könne noch immer eine Familie gründen. Aber Felzer hat alles schon durchgemacht und kommt zu diesem niederschmetternden Satz: "Morgen war schon." (315) Jetzt wird es Zeit, wirklich nach Neuseeland zu fahren.

Guy Helmingers Roman ist eine spannende Erkundungstournee durch die Biographien gewöhnlicher Menschen, eine kulturelle Ausschweifung durch das Köln des Alltags und ein Bildungsroman über das Thema Zukunftsperspektive in erträglichen Schritten. Die Gegenwart taucht dabei als heftige Glut der Beschreibungskunst auf, allein wie man etwa über die Frisuren die Menschen in ihrem Wesen ausmachen kann, ist schon ein Ratgeber der höheren Art. - Morgen war schon ist letztlich ein tröstlicher Roman, der aus einem einfachen Leben eine Aufregung macht und noch dazu zeigt, dass sich auch ein Absturz irgendwie hinkriegen lässt.

Guy Helminger, Morgen war schon. Roman.
Frankfurt/M: Suhrkamp 2007. 331 Seiten. EUR 19,80. ISBN 978-3-518-41918-2.

 

Weiterführende Links:
Homepage: Guy Helminger
Suhrkamp-Verlag: Guy Helminger, Morgen war schon

 

Helmuth Schönauer, 05-01-2008

Bibliographie

AutorIn

Guy Helminger

Buchtitel

Morgen war schon

Erscheinungsort

Frankfurt a. M.

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Suhrkamp

Seitenzahl

331

Preis in EUR

19,80

ISBN

978-3-518-41918-2

Kurzbiographie AutorIn

Guy Helminger, geb. 1963 in Esch-sur-Alzette/Luxemburg, lebt seit 1985 in Köln.