Bernhard Seiter, Elf Finger

Buch-CoverWas sich wie der Name eines Indianerhäuptlings oder einer Monstrosität anhört, ist in Wirklichkeit eine Methode, als Kind in der Großstadtwirklichkeit zu überleben.

Der fünfjährige Jakob will unbedingt alleine mit der U-Bahn fahren, das Kindermädchen liefert ihn an der Einstiegsstation ab und nach elf Stationen soll er von seiner Mutter wieder abgeholt werden. Um sich die Route zu merken, braucht es elf Finger, dann heißt es aussteigen.

Bereits beim Einstieg gibt es die erste Verunsicherung, soll diese Station nicht vielleicht doch schon mitgezählt werden? Und auch die restliche Fahrt hat durchaus Horrorelemente. Einmal ist die Garnitur völlig leer, dann steigt ein potentieller Kinderschänder zu, plötzlich wimmelt es von Schlachtenbummlern und in Augenhöhe mit deren Genitalien schaut die Welt naturgemäß recht seltsam erregt aus. Die Darstellung der Wirklichkeit entspricht oft nicht jenen Geschichten, die darüber erzählt werden, muss Jakob bedrückt feststellen.

Auf der anderen Seite ist auch die Welt der Erwachsenen aufgegeilt bis hysterisch. Im Sekundentakt rufen einander Kinderfrau und Mutter an, ob der tollkühne Passagier vielleicht schon aufgetaucht ist. Jede Verspätung einer durchbrausenden Garnitur wird als höheres Zeichen genommen, allmählich sind die Damen nicht mehr imstande, ihre fiepsigen Handys ans Ohr zu halten.

Im Schrecken der Wahrnehmung werden Belanglosigkeiten zu monströsen Geschichten. Die Mutter sieht einen Sandler mit durchgewetzter Hose und verfällt ungefragt in einen erotischen Traum. Hinter dieser Figur könnte sich ein verschollener Typ aus vergangenen Tagen verbergen, ein gewisser Paul. Dieser hat in den letzten Monaten versucht, sich tot zu stellen. Jetzt ist er offensichtlich wieder unter die Lebenden gegangen und tastet sich tapsig durch die U-Bahn-Station.

Zu einer idyllischen Familie, auch wenn sie in Fragmenten aufgestellt ist, gehört selbstverständlich eine Katze. Dieser Kater Bruno hat alle Eigenheiten einer Persönlichkeit, dennoch wird er von Paul offensichtlich geschlachtet, weil dieser ein starkes Katerherz verzehren muss, um wieder zu Kräften zu kommen.

Bernhard Seiters Roman Elf Finger ist eine aufregende Untergrundgeschichte, die einerseits mit der scharfen Logik eines Kindes erzählt wird, andererseits mit dem ausgeflippten Touch kaputter Erwachsener. Als Leser ist man hin und her gerissen zwischen den Erlebniswelten der Figuren, alle haben letztlich recht und man hat ähnlich wie der kleine Junge zu wenig Finger und Daumen, um sie allen zu halten, dass die Geschichte gut ausgehen möge

Bernhard Seiter, Elf Finger. Roman.
Wien: Picus Verlag 2007. 125 Seiten. EUR 16,90. ISBN 978-3-85452-623-0.

 

Weiterführende Links:
Picus-Verlag: Bernhard Seiter, Elf Finger

 

Helmuth Schönauer, 03-01-2008

Bibliographie

AutorIn

Bernhard Seiter

Buchtitel

Elf Finger

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Picus Verlag

Seitenzahl

125

Preis in EUR

16,90

ISBN

978-3-85452-623-0

Kurzbiographie AutorIn

Bernhard Seiter, geb. 1964 in Bad Ischl, lebt in Wien.