Dietmar Bittrich, Altersglück

Buch-CoverWollte man das Buch vom Altersglück und dem Segen der Vergesslichkeit inhaltlich korrekt rezensieren, sollte man als Rezensent augenzwinkernd schreiben. "Ich habe schon wieder vergessen, was ich gelesen habe".

Dietmar Bittrich, der bereits so große Themen wie den Nutzen der Bildungsromane oder den Unsinn von Familien behandelt hat, widmet sich in diesem Essay-Roman dem Thema Altern und Vergessen.

Durch die Einführung eines Ich-Erzählers bleibt die Ironie offen und so schwerwiegende Themen wie Alzheimer oder Demenz können erträglich und korrekt behandelt werden.

Gerüst für diesen Parforce-Ritt durch die Vergesslichkeit sind Schriftsteller, die gegen Ende der Karriere oft alles vergessen haben. Der Reiseschriftsteller Bruce Chatwin stellt dabei die richtige Frage: "Was mache ich hier?" (19) Diese Frage kann überhaupt als die sinnvollste des ganzen Lebens angesehen werden, und wer sie beantworten kann, hat irgendwie sein Leben verwirkt.

Der Ich-Erzähler will beispielsweise in den Club der Vergesslichkeit eintreten, aber schon bei der Aufnahmeprüfung hat er alles vergessen, so dass es zu keiner Clubmitgliedschaft kommt.

Gerade der Beruf des Schriftstellers bleibt lange unentdeckt in der Zone der Vergesslichkeit, aber wenn er dann ausbricht, dieser Blick ins Leere, dann  gibt es kaum eine Notausrüstung, um halbwegs über die Runden zu kommen. Berührendes Beispiel etwa, wenn einem beim Signieren der Name nicht mehr einfällt und man mit allerlei Tricks herausfinden muss, wem man das eigene Buch jetzt widmen soll.

Theodor Fontane als nebelverhüllter Greis, Agatha Christie, die sich im hohen Alter nicht einmal mehr selbst im Spiegel erkennt, Orson Wells, der sich in der Endphase für einen sechsundzwanzigjährigen Schauspieler aus Citizen Kane hält (29), die Literaturgeschichte könnte auch ganz anders geschrieben werden, wenn man sie als liebenswürdige Ansammlung von Vergesslichkeiten betrachtet.

Der Ich-Erzähler berichtet von leichten Aussetzern und entdeckt, dass es durchaus die Lebensqualität erhöhen kann, wenn man diverse Sachen vergisst. Natürlich schwappt manchmal eine Episode ins Groteske über, etwa wenn man jemandem, den man für immer im Altersheim abgesetzt hat, mit den Worten tröstet, es ist ja nur für kurze Zeit zur Erholung.

Dietmar Bittrich erzählt ohne Tabus von dieser sich entleerenden Welt des Gedächtnisses, aber seine Beispiele sind kauzig, diskret und nie verletzend. Und für den Leser bleibt die frohe Botschaft: Fürchte dich nicht, in der Welt des Vergessens gibt es keinen Schrecken. Und nur was du persönlich vergisst, gehört auch ganz dir.

Dietmar Bittrich, Altersglück. Vom Segen der Vergesslichkeit.
Hamburg: Hoffmann und Campe 2008. 190 Seiten. EUR 17,50. ISBN 978-3-455-40089-2.

 

Weiterführende Links:
Homepage: Dietmar Bittrich
Hoffmann und Campe: Dietmar Bittrich, Altersglück. Vom Segen der Vergesslichkeit

 

Helmuth Schönauer, 20-10-2008

Bibliographie

AutorIn

Dietmar Bittrich

Buchtitel

Altersglück. Vom Segen der Vergesslichkeit

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

Hoffmann und Campe

Seitenzahl

190

Preis in EUR

17,50

ISBN

978-3-455-40089-2

Kurzbiographie AutorIn

Dietmar Bittrich altert als freier Schriftsteller in Hamburg.