Dan Lungu, Die rote Babuschka

Buch-Cover"Als ich heute Morgen aufwachte, war ich alt. (244) - Selten tritt das Ergebnis eines ganzen Romans mit einem so klaren Satz zu Tage wie am Schluss von Dan Lungu's "roter Babuschk".

Vermutlich besteht das alt werden darin, dass man die erlebten Zeiten nicht mehr scharf genug einschätzen kann und alles in einem wohligen Erinnerungsbrei endet.

Die Rentnerin Emilia hat jedenfalls die komplette Ceausescu-Diktatur mitgemacht, aber jetzt hintennach erweist sich diese als gar nicht mehr so schlimm. Immerhin gab es jede Menge Ceausescu-Witze, die alle mit dem ritualisierten Satz beginnen: Eines Tages steht Nicolai mit dem falschen Fuß auf!

Inzwischen ist nichts mehr so, wie es einmal war, irgendwie ist die Gegenwart aus den Fugen geraten. Die Tochter ist längst in Kanada, nicht nur geographisch sondern auch atmosphärisch entrückt. Wie könnte sie sonst anrufen und die Rentner in ermahnen, ja nicht die Kommunisten zu wählen.

Emilia gilt mittlerweile in ihrer Umgebung als die rote Babuschka und ihre Geschichten bauschen sich immer öfter zu purem Sonnenschein auf. Die Berufswahl war irgendwie pervers, aber die anschließenden Arbeit in Ordnung. Das einzig unangenehme in der Kindheit war vielleicht das Zusammenbasteln von Kuhmist und Stroh zu Heiz-Kugeln für den Winter.

Dafür aber ist das Gemüse im Dorf das größte und schönste auf der Welt, da kann Kanada keinesfalls mithalten. Und selbst die Parteimitgliedschaft in der ehemaligen Einheitspartei war gar nicht so schlimm. Warum sie noch nicht dabei sei, wird sie gefragt, und Babuschka sagt, ihr fehle noch die ideologische Reife. (200)

Einmal kommt ein grün-junger Journalist, der Ceausescu nur vom Hörensagen kennt, und interviewt die Babuschka, man solle sie eines Tages im Museum ausstopfen, meint diese, um das Verflossene der vergangenen Epoche zu dokumentieren.

Ein bisschen Sehnsucht gab es wohl auch immer wieder. Einmal setzen sich Babuschka und ihre Schwester in einen abgestellten Zug und tun so, als ob er nach Bukarest führe. Und jetzt kostet ein Fahrschein so viel wie früher zwei Monatsgehälter unter dem Diktator. Selbst Kinder kann man sich heute nicht mehr leisten, oder höchstens in Kanada.

Babuschka ist heute Morgen alt geworden, sie wird nicht zur Wahl gehen und niemanden wählen.

Dan Lungu vermischt raffiniert die persönliche Erinnerung einer alternden Protagonistin mit der allgemeinen Verklärung der jüngeren Zeitgeschichte. Ein mildes und wahres Buch, das den Aufregungen des Alltags den Wind aus den Segeln nimmt.

Dan Lungu, Die rote Babuschka. A. d. Rumän. von Jan Cornelius.
St. Pölten: Residenz 2009. 246 Seiten. EUR 21,90. ISBN 978-3-7017-1511-4.

 

Weiterführende Links:
Residenz-Verlag: Dan Lungu, Die rote Babuschka
Homepage: Dan Lungu

 

Helmuth Schönauer, 28-05-2009

Bibliographie

AutorIn

Dan Lungu

Buchtitel

Die rote Babuschka

Erscheinungsort

St. Pölten

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Residenz

Übersetzung

Jan Cornelius

Seitenzahl

246

Preis in EUR

21,90

ISBN

978-3-7017-1511-4

Kurzbiographie AutorIn

Dan Lungu, geb. 1969, lebt in Iasi, Rumänien.