Martin Beyer, Alle Wasser laufen ins Meer

Buch-Cover

Manchmal gelingt Dichtern nicht nur der große literarische Wurf, sondern auch ihr Leben verläuft dermaßen dicht, dass daraus wieder Stoff für einen Roman wird.

Martin Beyer wendet sich mit seinem Roman Alle Wasser laufen ins Meer Georg Trakl und seinem Verhältnis zu seiner Schwester Grete zu. Dabei geht es vor allem um die Beschreibung einer Künstlertruppe am Vorabend des Ersten Weltkrieges.

Im ersten Kapitel haben sich die Trakls in Salzburg halbwegs eingerichtet, Georg und Grete ziehen sich manchmal ins Künstlerzimmer am Dachboden zurück und geben sich allerhand berauschenden Stoffen hin, Grete liebt ihren Bruder abgöttisch und Georg dichtet halb illuminiert, halb desorientiert. Die Salzburger Szene ist als provinzielle Bohème aufgestellt, man liest sich gegenseitig Gedichte vor, trinkt, was das Zeug hält, und schart sich um Madame Thérèse im Puff.

Im zweiten Teil versuchen die Trakls in Wien Fuß zu fassen. Georg hat erste Erfolge in der Dichterszenerie, Grete spielt Klavier und kommt mit den Männern nicht zurecht. Jene, die sie verehren, sind nichts wert, und zu den Wertvollen hat sie keinen Zugang.

Er schrieb nur noch Gedichte, das Theater hatte er aufgegeben, auch die Prosa. Er konzentrierte sich auf die kleine Form, auf wenige Wörter. Er sagte oft, die Gedichte seien seine Sühne. Seine Sühne für seine Schuld, die keiner verstand. Bis auf Grete vielleicht, an die er sich mit aller Macht klammerte. (100)

Der dritte Teil schließlich berichtet von den Katastrophen. Grete liegt halbtot in Berlin und wartet auf Georg, dieser meldet sich zum Militär und zieht nach Innsbruck. Bei einem Besuch bei Grete gehen beide transzentente Stellen in der Bibel durch. Sie stoßen auf eine Zeile im Hohen Lied Salomos: Alle Wasser laufen ins Meer, doch das Meer wird nicht voller. (203)

Bald bricht der Weltkrieg aus und Georg geht in Galizien delirierend und wahnsinnig zugrunde.

Martin Beyer erzählt in seinem Porträt-Roman von der halb wahnsinnigen Welt, die hinter der literarischen steckt. Während die Leser begeistert in den Gedichten Trakls aufgehen, sind die dichtenden Helden geplagte krumme Gestalten, deren einziges Licht an manchen Tagen im Drogenkonsum besteht. Zu jedem Kapitel schreibt die Figur Grete einen Nachruf auf Georg, schwärmt von der Liebe, berichtet von der Dunkelheit und verlöscht schließlich ohne einen Schuss Romantik. Alle Wasser laufen ins Meer ist ein ernüchternder und trunkener Künstler-Roman in einem.

Martin Beyer, Alle Wasser laufen ins Meer. Roman
Stuttgart: Klett-Cotta Verlag 2009, 239 Seiten, 18,90 €, ISBN 978-3-608-93609-4

 

Weiterführende Links:
Klett-Cotta-Verlag: Martin Beyer, Alle Wasser laufen ins Meer
Homepage: Martin Beyer

 

Helmuth Schönauer, 18-12-2009

Bibliographie

AutorIn

Martin Beyer

Buchtitel

Alle Wasser laufen ins Meer

Erscheinungsort

Stuttgart

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Klett-Cotta Verlag

Seitenzahl

239

Preis in EUR

18,90

ISBN

978-3-608-93609-4

Kurzbiographie AutorIn

Martin Beyer, geb. 1976 in Frankfurt, lebt in Frankfurt