André Pilz, Man Down

Buch-CoverManche Romane zielen in keine Richtung, sie explodieren als Rohrkrepierer samt der erzählerischen Abschussrampe.

André Pilzs Roman über die kaum ausgeleuchtete Szene am sogenannten gesellschaftlichen Rand verträgt durchaus eine Einleitung aus dem Waffenwesen, denn es geht ordentlich brutal, gewalttätig und desaströs zu.

Für Kai hat sich die Welt vollkommen verändert, seit er als Dachdecker vom Dach gefallen und arbeitsunfähig geworden ist. Sofort sind bei Kollegen in der Szene Schulden entstanden, die gnadenlos eingetrieben werden. Kai bleibt nichts anderes übrig, als in den sauren Apfel zu beißen und sich als Drogenkurier zu verdingen. In regelmäßigen Abständen pendelt er zwischen der Schweiz und München hin und her, wird natürlich sofort aufgegriffen und amtsbehandelt und gibt in seiner Verzweiflung seine türkische Freundin Marion als Drahtzieherin an, was noch Folgen haben wird.

Überhaupt ist das Verhältnis zu Marion ein wildes. Zwischen sexuellen Orgien kommt immer wieder bodenlose Ohnmacht auf, seit jemand behauptet hat, es handle sich dabei um eine Internet-Prostituierte.

Der Roman fetzt in speedigen Dialogen quasi am Leser vorbei, oft geht es so atemlos zu, dass man als Leser den Faden verliert, denn die Figuren wechseln mit ihren durchgedrehten Sinnen ständig die Ebenen der Wahrnehmung. In der Hauptsache spielt sich das Desaster in einem Studentenheim ab, worin Typen wohnen, die fünfmal in der Woche stoned und zweimal blau sind. Den Rest der Zeit verbringen sie an der Uni.

Überhaupt sind die Rituale des Umgangs der Figuren miteinander, die codierte Sprache und der ständige Wechsel der Kulturen etwas, was ein bedächtiger Leser nur mit Mühe schafft. Ständig wechselt die Szene zwischen Neonazis, Türken, Kanaken und No-name-Identitäten hin und her.

Kai versucht zwischendurch seinem Bruder in Innsbruck etwas in Briefform mitzuteilen, in diesen Texten glüht ein anderes Leben auf, wo vielleicht noch Lektüre und Ordnung geherrscht haben, während es jetzt bloß noch Kopfsausen und Herzrasen gibt, die Drogen sind allgegenwärtig. So nickt Kai beispielsweise einmal kurz ein, fühlt sich in einem abgrundtiefen Schlaf und als er auf die Uhr sieht, ist es Nachmittag. Jede übliche Zeiteinteilung ist obsolet geworden.

Auch Innsbruck kommt in einem saloppen Dialog zu jener Würde, die dieser Stadt zusteht:

Was willst du in Innsbruck?
Muss da was klären.
Ich verstehe. Jeder Mann hat seine Leichen im Keller.
Ich habe nur eine, aber die stinkt für zehn. (196)

In dieser beschleunigten Lebensweise werden die Figuren allesamt an den Rand gespült wie nach einem Schleudervorgang einer gesellschaftlichen Zentrifuge.

André Pilz erzählt rasant, speedy, voller Feuer, es gibt keine Tabus und der Text liegt tollkühn auf einem Sturm voller Aufwind. Jegliche Moral und dokumentarische Fiktion werden hintangestellt, wenn es darum geht, die Figuren in die Zukunft zu schießen. Als Leser ist man hingerissen von dieser Geschwindigkeit, diesem Small-talk des Wahnsinns. Romane wie Man Down reinigen die verkalkten Lektüreadern und machen jung und wild wie nach einer Droge!

André Pilz, Man Down. Roman.
Innsbruck: Haymon 2010. 275 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-85218-623-8.

 

Weiterführende Links:
Haymon-Verlag: André Pilz, Man Down
Wikipedia: André Pilz

 

Helmuth Schönauer, 22-02-2010

Bibliographie

AutorIn

André Pilz

Buchtitel

Man Down

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Haymon

Seitenzahl

275

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-85218-623-8

Kurzbiographie AutorIn

André Pilz, geb. 1972 in Vorarlberg, Studium in Innsbruck, lebt in München und Hohenweiler.