Olga Martynova, Sogar Papageien überleben uns

Buch-CoverIn einem gelungenen Titel ist der komplette Roman enthalten. Sogar Papageien überleben uns ist ein Zitat von Joseph Roth, worin dieser die Endlichkeit des Lebens bedauert und süffisant meint, dass sogar die Papageien die Menschen überleben. (95)

Olga Martynova behandelt in  ihrem Roman diese Endlichkeit der Biographien und Epochen. Kaum dass man einen Lebenslauf so halbwegs beschrieben hat, ist er auch schon zu Ende. Das gilt auch für die Geschichte, kaum ist eine Epoche mit Fahne, Verfassung und Hymne installiert, muss sie auch schon wieder abdanken.

Wenn es im "Papageien-Roman" so etwas wie eine Handlung gibt, dann besteht sie darin, dass eine Literatur-Frau aus St. Petersburg in Deutschland einen Bildungsauftritt erfüllt und bei dieser Gelegenheit von Daniil Charms erzählt.

Daniil Charms, muss man wissen, ist der skurrilste und absurdeste Dichter Russlands, seine Literatur handelt vom ständigen Scheitern, das aber durch einen märchenhaften Aufprall in Form von Gelächter überlebt werden kann. In den Übersetzungen heißen seine Bücher daher Fallen, Fällen, Hinfallen. Charms ist während der Leningrader Blockade durch die Nazi-Wehrmacht verhungert, weil ihn die eigenen Leute mitten im Chaos eingesperrt hatten und quasi als Gott der Absurdität bewacht hielten im Meer der Absurditäten.

Bei Olga Martynova übernimmt eine gewisse Marina den Guide durch einen Haufen von Text-Partikeln. Diese Texte haben allerdings wie ein Strich-Code eine Schleife von Jahreszahlen im Überkopf, es sind immer alle Jahreszahlen zwischen vor "C" und 2006 angeführt, freilich ist die aktuelle Zahl, worin das Ereignis spielt, fett gedruckt.

Wie in einer imaginären Kulturgeschichte sind die literarischen Ereignisse, wie etwa Nabukov oder Joseph Roth als Leseerlebnis mit nachhaltiger Wirkung aufgeführt. Das Thema der "Papageien" ist nämlich der Zerfall der Kontinuität, dargestellt am Zerfall der Sowjetunion und deren Insignien.

Herunter gebrochen auf das Individuum ergeben sich daraus schaurig schöne Geschichten. Einmal macht sich ein Figuren-Trupp auf nach Usbekistan, einem abgefallenen Teil der Sowjetunion, wird auf offener Strecke zusammengeschlagen und anschließend von einem Patrioten auf offenem Weg verköstigt. (71)

Die Erzählweise ist pragmatisch schön und dadurch genau. Der Leser muss die Sprünge zwischen den Kapiteln schaffen, dann ist der Weg frei für ein Bad an Assoziationen. Kaum eingetaucht in das nächste Kapitel, entsteht ein historisch genauer Sound, der stalinistische Suhle, Post-Sowjetismus und Charme der russischen Absurdidäts-Literatur zu einem Schaumbad der Lektüre verquirlt, wobei der Lese-Haut Aussicht auf Leben und Tod freigestellt ist. - Papagei ist ein Roman für lange Zeit!

Olga Martynova, Sogar Papageien überleben uns. Roman.
Graz: Droschl 2010. 199 Seiten. EUR 19,-. ISBN 978-3-85420-765-8

 

Weiterführende Links:
Droschl-Verlag: Olga Martynova, Sogar Papageien überleben uns
Wikipedia: Olga Martynova

 

Helmuth Schönauer, 08-07-2010

Bibliographie

AutorIn

Olga Martynova

Buchtitel

Sogar Papageien überleben uns

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Droschl

Seitenzahl

199

Preis in EUR

19,00

ISBN

978-3-85420-765-8

Kurzbiographie AutorIn

Olga Martynova, geb. 1962 bei Krasnojarsk, wuchs in Leningrad auf, lebt seit 1991 in Frankfurt