Barbara Denscher, Reportage Armenien

denscher, armenienEs gibt auf dieser Welt Gegenden, die lassen sich kaum beschreiben, weil die Politik damit nicht zurechtkommt. Und unsere Beschreibungskunst ist eben oft aus der Politik heraus definiert. Eine dieser Gegenden ist der Kaukasus. Wir kennen diesen Landstrich als geheime Wiege der Menschheit, woraus der biblische Ararat scheinbar für alle Zeiten hervorragt.

Barbara Denscher hat sich mit Lebenserfahrung aus dem Kaukasus Armenien herausgesucht, ein Land, in dem man ununterbrochen das Meer riecht, obwohl es im Gebirge liegt.

In aufregenden Stationen fährt die Autorin durch Geographie, Geschichte und Kultur des Landes, das etwa drei Millionen Einwohner hat und von Ländern wie Georgien, Aserbeidschan, Iran und Türkei umzingelt ist. In den einzelnen Sequenzen trifft die Erzählerin immer auf echte Armenier, die sich in der Geschichte auskennen, von den verschiedenen Deutungen der Ereignisse wissen und einfach die Gegenwart darstellen.

So gibt es ein Kapitel über die Witze Marke Radio Eriwan, bei dieser Gelegenheit wird gleich die Hauptstadt vorgestellt.

Das Erdbebengebiet Armenien erfährt in der Stadt Gjumri eine Art Nullpunkt, wenn Überlebende des großen Erdbebens von 1988 berichten, wie letztlich kaum echte Hilfe durchgesickert ist, und jetzt die Stadt in einem seltsamen Dämmerzustand des Überlebens dahinvegetiert.

In keiner anderen Stadt Armeniens werden die aktuellen Probleme des Landes so deutlich wie in Gjumri: die Armut der Menschen; die Mangelwirtschaft; die Arbeitslosigkeit, die hier besonders hoch ist; die Isolation durch die zerstörte Verkehrsinfrastruktur; und vor allem auch die Korruption. (82)

Politisch scheint es Armenien immer auf Unglück mit den Nachbarn angelegt zu haben, so ist das Verhältnis mit Aserbeidschan skurril, indem alle Verkehrsverbindungen zu deren Enklave Nachitschewan zerstört sind, während Armenien selbst nur mit Mühe Verkehrsverbindungen zur Außenwelt halten kann.

Das Wort Enklave scheint das Zauberwort für jeden Zustand zu sein, wonach in aller Welt etwa 10 Millionen Armenien leben, während in der "Enklave" bloß drei Millionen davon leben.

Natürlich kommt auch das heikle Thema Genozid zur Sprache. Barbara Denscher erzählt anhand von Franz Werfels Roman vom Musa Dagh, wie die Geschichte heute rezipiert wird, und nach wie vor gilt Franz Werfel im ganzen Lande als Nationalheld.

Die spannendste Frage für die Zukunft wird sein, wie sich die Diaspora-Armenier gegenüber dem Kernland verhalten. Teilweise gibt es hier ein Klassenbewusstsein, wo die einen auf die anderen herunterschauen und umgekehrt.

Die Reise endet an einem wilden Gebirgspass Richtung Iran, wo umgedreht werden muss. Ein Motiv, das in der Geschichte und in der Literatur sehr häufig ist.

Reportage Armenien erweckt die Lust auf ein kulturelles Hochland, das man durchaus besuchen sollte, schon aus Gründen der Solidarität zur eigenen Geschichte. Denn wer weiß, vielleicht stammen wir wirklich alle vom Ararat ab.

Barbara Denscher, Reportage Armenien. Im Schatten des Ararat.
Wien: Picus 2010. [2004]. 132 Seiten. EUR 14,90. ISBN 978-3-85452-977-4

 

Weiterführender Link:
Picus-Verlag: Barbara Denscher, Reportage Armenien

 

Helmuth Schönauer, 20-07-2010

Bibliographie

AutorIn

Barbara Denscher

Buchtitel

Reportage Armenien. Im Schatten des Ararat

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Picus

Seitenzahl

132

Preis in EUR

14,90

ISBN

978-3-85452-977-4

Kurzbiographie AutorIn

Barbara Denscher, geb. 1956 in Wien, ist Journalistin mit Schwerpunkt Armenien.