Luis Raffeiner, Wir waren keine Menschen mehr

Buch-CoverWehrmachtserinnerungen lösen bei den Nach-Nachfahren immer ein recht unbeholfenes Gefühl aus, einerseits ist das Genre durch allzu beschönigende Literatur in der Political Correctness ziemlich geächtet, andererseits stellt sich die Frage, warum man sich nach siebzig Jahren diese Erlebnis-Literatur der makaberen Art antun soll.

Die Antwort gibt im Nachwort Hannes Heer mit einem Karl-Kraus-Zitat über den ersten Weltkrieg:

Alles, was gestern war, wird man vergessen haben, was heute ist, nicht sehen, was morgen kommt, nicht fürchten. Man wird vergessen haben, dass man den Krieg verloren, dass man ihn begonnen, vergessen, dass man ihn geführt hat. Darum wird er nicht aufhören. (223)

Luis Raffeiner (geb. 1917 im Schnalstal) hat als Panzerfachmann an der Ostfront fotografiert und im hohen Alter Anhand der Fotos seinen Einsatz an der Ostfront kommentiert. Der Bericht wurde von Luise Ruatti aufgezeichnet und von Hannes Heer in einem Nachwort historisch bewertet.

Die Erinnerungen Luis Raffeiners gliedern sich in drei Abschnitte, die jeweils eine eigenartige Botschaft an uns Leser der Gegenwart ausrichten. Die Lebensbedingungen der dreißiger Jahre waren so erbärmlich, dass bei den Jugendlichen durchaus diktatorische Regime Anklang finden konnten. Der Einsatz der Wehrmacht im Osten war bewusst auf komplette Vernichtung der Bevölkerung ausgerichtet.

Nur mit allerhand Verdrängungsmechanismen gelang es den Kriegsteilnehmern später, diese Zeit ohne eigenes Schuldbewusstsein für sich selbst in den Griff zu bekommen. Nach der Gefangenschaft in Georgien kam der Erzähler völlig kaputt und ausgebrannt nach Südtirol zurück und widmete sich einem heftigen Aufbau- und Arbeitsprogramm als Selbsttherapie.

Der Bericht ist trotz des zurückgenommenen Stils aufregend, lässt er doch zwischen den Zeilen das Grauen und den Wahnsinn der Ereignisse erahnen. Die Gefangenschaft schließlich wird als Überlebens-Saga mit schier unglaublichen Überlebensmethoden geschildert, die Arbeit in der Nachkriegszeit als stumme, unpolitische Meditation.

Hannes Heer rückt in seinem Nachwort einige Darstellungen des Erlebnisberichtes zurecht und weist darauf hin, dass alle diese Erzählungen immer den Finten der Erinnerung ausgesetzt sind. Der Schrecken bringt es mit sich, dass die Erinnerung oft  in einer subjektiven und umgeformten Weise auftauchen muss.

Luis Raffeiners Erinnerungen stimmen gerade deshalb so nachdenklich, weil es offensichtlich trotz aller Lauterkeit und trotz allen Bemühens für die Täter unmöglich ist, der Fassungslosigkeit die richtigen Worte zu geben.

Luis Raffeiner, Wir waren keine Menschen mehr. Erinnerungen eines Wehrmachtssoldaten an die Ostfront. Fotos. Aufgezeichnet von Luise Ruatti. Mit einem Nachwort von Hannes Heer.
Bozen: Edition Raetia 2010. 229 Seiten. EUR 19,-. ISBN 978-88-7283-372-8.

 

Helmuth Schönauer, 06-09-2010

Bibliographie

AutorIn

Luis Raffeiner

Buchtitel

Wir waren keine Menschen mehr. Erinnerungen eines Wehrmachtssoldaten an die Ostfront

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Edition Raetia

Seitenzahl

229

Preis in EUR

19,00

ISBN

978-88-7283-372-8

Kurzbiographie AutorIn

Luis Raffeiner, geb. 1917 im Schnalstal, ist Unternehmer im Ruhestand.<br /><br /> Luise Ruatti, geb. 1966, Pflegerin in verschiedenen Haushalten. <br /><br /> Hannes Heer, geb. 1941, Historiker, Leiter der Ausstellung Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944.