Wolfgang Hetzer, Politiker, Patrioten, Profiteure
„Nach jüngsten Umfragen des Marktforschungsnetzwerks WIN/Gallup unter 12750 Personen in 13 Ländern wächst in vielen Staaten Europas die Europa-Skepsis und immer mehr Europäer gehen auf Distanz zur Europäischen Union.“ (13)
Niemand kann leugnen, dass sich die Europäische Union schon seit längerer Zeit in einer schweren Krise befindet. Besonders deutlich traten die Spannungen und fehlende Solidarität mit der Griechenlandkrise zu Tage und kulminierten anschließend mit der europäischen Ratslosigkeit bei der Flüchtlingskrise. Wolfgang Hetzer analysiert und kommentiert die Entwicklungen in der EU in den letzten Jahren und zeigt auf, was getan werden muss, um Europa zu retten.
Gleich zu Beginn wird das weit verbreitete diffuse Gefühl des „Unwohlseins“ in Europa näher untersucht, das von einer zunehmenden empfundenen Entfremdung herrührt, zwischen denen, „die oben etwas konstruieren und denen, die es unten nicht mehr mitvollziehen.“ (21)
Allein die Einführung des Euro ist trotz aller Komplexität als „Elitenprojekt“ durch die Institutionen gepeitscht worden, ohne den notwendigen breiten gesellschaftlichen Diskurs geführt zu haben. Hier wird vor allem die gemeinsame Währung als Preis für die deutsche Wiedervereinigung genannt, was besonders von Frankreich forciert worden sei. Anhand von zehn Punkten werden die größten Mängel der gemeinsamen Währungen aufgelistet, unter Punkt 9 heißt es z.B.:
Der hinter der Währungsunion stehende Grundgedanke, dass die Mitglieder miteinander in wirtschaftlichen Wettbewerb treten und bleiben, ohne auf die Instrumente der Geldpolitik zurückgreifen zu dürfen, ist im Lichte der bisherigen Erfahrungen überprüfungsbedürftig. (38)
Nach den Europawahlen im Mai 2014 hat der Nationalismus in Europa stetig zugenommen, was sich auf die anhaltende globale Finanzkrise, Uneinigkeiten innerhalb der Europäischen Währungsunion, die hohe Arbeitslosigkeit besonders bei Jugendlichen und die anhaltende Zuwanderung zurückführen lasse.
Neben aller Kritik vergisst Hetzer aber nicht am Ende der Darstellung die zahlreichen Erfolge der europäischen Einigung zur Sprache zu bringen. Dabei nennt er die EU als das „erfolgversprechendste Format zur Verwirklichung all der politischen und humanistischen Ideale“ (256) in Europa, für ein friedliches Zusammenleben. Aber auch hier drohen z.B. Destabilisierungstendenzen durch die Eurokrise, ein zunehmender Nationalismus oder das Dilemma zwischen Eliten- und Basisdemokratie.
Damit Europa als Zukunftsmodell weiter Bestand haben kann, sei es wichtig, es nicht „Politikern, Bürokraten, Experten und Gerichten zu überlassen“. Europa muss zu einer Herzensangelegenheit für die große Mehrheit ihrer 500 Millionen Bürger werden.
Wolfgang Hetzer unterzieht die Europäische Union, die einzelnen staatlichen Akteure und die aktuellsten Ereignisse einer anschaulichen Analyse, wobei seine Urteile immer wieder auch mal aus dem Bauch zu kommen scheinen, wenn z.B. der Austritt Großbritanniens im Grunde für die weitere Entwicklung der EU als begrüßenswert erscheint.
Viele politische Mängel in der EU innerhalb der letzten Jahre werden angesprochen und genannt, ohne immer in die gewünschte Tiefe zu gehen. Vor allem Deutschland und seine Politik werden erstaunlich positiv wiedergegeben, sodass Deutschland als rettender Anker der europäischen Entwicklung gelten könnte. Eine Sichtweise, die zumindest diskussionswürdig wäre. Insgesamt bietet das Buch aber eine spannende Diskussionsgrundlage über die Zukunft Europas.
Wolfgang Hetzer, Politiker, Patrioten, Profiteure. Wer führt uns Europäer an den Abgrund?
Frankfurt a. Main: Westend Verlag 2015, 272 Seiten, 18,50 €, ISBN 978-3-86489-098-7
Weiterführender Link:
Wolfgang Hetzer, Politiker, Patrioten, Profiteure
Andreas Markt-Huter, 23-10-2015