Ulrich Schneider, Kein Wohlstand für alle!?

„Niemand, der mit offenen Augen durch die Lande geht, wird abstreiten können, dass Deutschland gerade dabei ist, sich selbst zu zerlegen. Der Glaube an den wenigstens bescheidenen Wohlstand für alle, der unsere Republik so lange zusammengehalten hat, ist zunehmend passé.“ (9)

Die von Ulrich Schneider geschilderten Zustände in Deutschland werden als Symptom eines hemmungslos auftretenden Neoliberalismus geschildert, der in mehr oder weniger abgeschwächter Form auch die meisten Länder Europas erfasst hat und seit zwei Jahrzehnten die soziale Schere zwischen Arm und Reich immer größer werden lässt. Das Buch zeigt auf, wie die zunehmende ökonomische Ungleichheit innerhalb der Gesellschaft entstehen konnte und was kann nun dagegen unternommen soll?

Während die Reichen immer reicher werden, werden großer Teile der Gesellschaft zunehmend deklassiert. Seit der Jahrtausendwende werden in Deutschland Arbeitnehmerschutzrechte und soziale Leistungen abgebaut und auch das reformierte Rentensystem droht einen großen Teil der Bevölkerung in die Altersarmut zu treiben, was die sozialen Spannungen anwachsen lässt.

Auch Deutschland ist vor Wahlergebnissen wie bei der US-Präsidentschaftswahl nicht gefeit. (12)

Der Siegeszug des Neoliberalismus nahm in Deutschland nach der deutschen Wiedervereinigung 1989 seinen Ausgang, für welche die Regierung einen Solidarpakt ausgearbeitet hat. Bei genauer Betrachtung zeigt sich der Solidarpakt jedoch alles andere als solidarisch und hat sich vor allem durch den Rückzug des Staates aus dem Wirtschaftsleben und massive Kürzungen im Sozialbereich ausgezeichnet, während die steuerlich entlasteten Reichen als „Leistungsträger“, von den sozialstaatlichen Fesseln befreit, die Marktwirtschaft entfesseln und ein Wirtschaftswachstum für alle ankurbeln sollten. Die unerfüllten Hoffnungen sollten der Realität einer zunehmenden und tiefen Armut Platz machen.

Eine der zentralen Fragen, denen Ulrich Schneider im zweiten Abschnitt des Buches nachzugehen versuch, ist der merkwürdige Umstand, dass eine breite Mehrheit der Bevölkerung eine Politik gutheißt, die ständig gegen ihre eigenen Interessen handelt. Dabei wird die wichtige Rolle der liberalen Wirtschaftswissenschaft erläutert, die zunächst den Staat nur in seine Grenzen verweisen wollte, dem es im Laufe der Zeit aber gelingt, die Politik zunehmend an den Prinzipien der freien Marktwirtschaft auszurichten. Der Mensch wird zum „Humankapital“ und damit zu einer Größe des marktwirtschaftlichen Denkens, das damit einer Kosten-Nutzen-Rechnung unterliegt.

Nachdem diese Vorstellungen von den Medien und schließlich auch von der sozialdemokratisch-grünen Koalition unterstützt worden sind, war der neoliberale Mainstream endgültig auf dem Vormarsch. Aufrufe gegen zunehmende soziale Ungerechtigkeiten konnten geschickt als „Neiddebatte“ abgeschmettert werden.

Im abschließenden dritten Teil geht Schneider der Frage nach, was gegen die zunehmende soziale Kluft, gegen die wachsende Armut getan werden kann und wie Deutschland den neoliberalen Kurs verlassen kann. Er fordert dazu auf Tabula rasa zu machen und sich von den „vermeintlichen Selbstverständlichkeiten und Fraglosigkeiten“ (127) frei zu machen und die Irrationalitäten des Neoliberalismus zu hinterfragen.

Am Beispiel des „Schuldendogmas“ und des „Wettbewerbsdogmas“ wird aufgezeigt, wie sehr die beiden mit moralischen Kategorien verknüpft sind, der einem rationalen Umgang mit ihnen im Wege steht. Schuldner wurden moralisch degradiert während der Neoliberalismus „die Akzeptanz der Gier geradezu zu seiner anthropologischen Grundannahme gemacht“ (138) hat. Lösung bietet eine radikale Umkehr des Denkens, der Werte und der Umverteilung, was im Weiteren in zahlreichen Details dargestellt wird.

Ulrich Schneider schreibt gegen einen menschenverachtenden Liberalismus, der die Menschen in Gewinner und Verlierer unterteilt und nur jenen Teilen der Gesellschaft Solidarität verspricht, die selbst etwas leisten können. Nicht nur in Deutschland sondern in ganz Europa lassen sich Phänomene beobachten, deren Ursachen dem beschriebenen neoliberalen Weltbild zugrunde liegen. Eine Folge davon ist die zunehmende politische Radikalisierung in weiten Teilen der EU, nachdem sich immer größere Teile der Bevölkerung als Verlierer und durch die „etablierten Parteien“ nicht mehr vertreten sehen.

Ulrich Schneiders „Kein Wohlstand für alle!?“ ist ein wichtiger Beitrag der Aufklärung und Information, um Entwicklungen, die Ängste und Emotionen erzeugen, zu verstehen. Es ist ein Aufruf, der sowohl hetzerischen Erklärungsversuchen, die an der Sache vorbeigehen, den Wind aus den Segeln nehmen soll, als auch dazu, den bisherigen politischen Weg nicht weiter zu unterstützen. Ein wichtiges Buch, das allen politisch interessierten Leserinnen und Lesern weiterempfohlen werden kann.

Ulrich Schneider, Kein Wohlstand für alle!? Wie sich Deutschland selber zerlegt und was wir dagegen tun können
Frankfurt a. Main: Westend Verlag 2017, 240 Seiten, 18,50 €, ISBN 978-3-86489-161-8

 

Weiterführende Links:
Westend Verlag: Ulrich Schneider, Kein Wohlstand für alle!?
Wikipedia: Ulrich Schneider

 

Andreas Markt-Huter, 11-04-2017

Bibliographie

AutorIn

Ulrich Schneider

Buchtitel

Kein Wohlstand für alle!? Wie sich Deutschland selber zerlegt und was wir dagegen tun können

Erscheinungsort

Frankfurt a. Main

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Westend Verlag

Seitenzahl

240

Preis in EUR

18,50

ISBN

978-3-86489-161-8

Kurzbiographie AutorIn

Ulrich Schneider ist Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Berlin. Er ist Autor verschiedener Publikationen zu den Themen Armut in Deutschland, Verantwortung des Sozialstaates und soziale Gerechtigkeit.