Wie blinde und sehbehinderte Menschen lesen. Teil 1

Wenn von Lesen, Leseförderung, Literatur, Bibliotheken die Rede ist, denkt man nur selten an jene Menschen, die aufgrund einer Erblindung oder Sehbehinderung mit unserer so genannten Schwarzschrift ihre Probleme haben. Wie aber lesen blinde Menschen und Menschen mit Sehbehinderung.

Lesen in Tirol ist dieser Frage nachgegangen und hat dazu beim Tiroler Blinden- und Sehbehinderten Verband nachgefragt.

Louis Braille - der Erfinder der Blindenschrift

Blinden und sehbehinderten Menschen blieb selbständiges Lesen für lange Zeit verschlossen, bis es dem Franzosen Louis Braille im Alter von 16 Jahren gelang, ein Schriftsystem zu entwickeln, das bis heute blinden und sehbehinderten Menschen das Lesen und Schreiben ermöglicht.

Geboren wurde der Erfinder der nach ihm benannten Blindenschrift am 4. Jänner 1809 in der Nähe von Paris. Bereits im Alter von drei Jahren verlor er bei einem Unfall in der Sattlerei seines Vaters sein Augenlicht. Bereits sehr früh lernte er ein Schriftsystem aus Punkten kennen, das Soldaten die Nachrichtenübermittlung auch im Dunklen ermöglichen sollte.

1825 gelang es Braille diese Schrift zu vereinfachen und zu verbessern und zu einem System auszuarbeiten, das als Schrift für Blinde geeignet war. Aus einer Kombination aus sechs erhabenen Punkten, die sich mit den Fingerkuppen ertasten lassen, war es möglich 63 Punktkombinationen zu erstellen.

     
Louis Braille, der Erfinder der als Braille-Schrift bezeichneten Blindenschrift und eine Tafel des Braille Blindenschrift-Alphabets. Bildquelle: Wikipedia und Deutscher Verein der Blinden- und Sehbehinderten

 

Das 6-Punkte-Alphabet war leicht erlernbar, ließ sich rasch und sicher lesen und konnte mit Hilfe einer Schreibtafel und eines Griffels auch leicht geschrieben werden. Trotzdem sollte es 25 Jahre dauern, bis die Braille-Schrift offizielle Anerkennung finden sollte. 1850 wurde sie schließlich von der Pädagogischen Akademie Frankreichs offiziell anerkannt und in Paris eingeführt. Im deutschsprachigen Raum wurde die Brailleschrift 1873 auf dem 1. Blindenlehrerkongress in Wien als allgemein verbindliche Blindenschrift offiziell übernommen.

Die Braille-Schrift

Die Grundeinheit der Braille-Schrift bilden sechs Punkte, die in zwei senkrechten Reihen zu je drei Punkten angeordnet sind. Links oben befindet sich Punkt 1, darunter Punkt 2 und wieder darunter Punkt 3. Rechts oben liegt Punkt 4, darunter Punkt 5 und rechts unten Punkt 6. Die Blindenschrift besteht nun aus Kombinationen dieser 6 Punkte, wobei insgesamt 63 Zeichen erstellt werden können.

Technisch kann die Brailleschrift heute mit den verschiedensten Hilfsmitteln dargestellt werden. Die älteste Methode erfolgt mit Hilfe eines speziellen Papiers, das viel dicker sein muss als jenes für die so genannte Schwarzschrift, eines Griffels und einer Rasterschablone. Die Schablone, die als Tafel bezeichnet wird, gibt es in verschiedenen Größen von DIN A4 bis hin zu einzeiligen Tafeln, die für die Beschriftung von Gegenständen verwendet werden können.

Um 1880 wurden die ersten mechanische Punktschriftmaschinen entwickelt, bei der jedem Punkt eine Taste zugeordnet ist. Für das Schreiben eines Buchstabens müssen dazu all jene Tasten gleichzeitig gedrückt werden, die für die Erzeugung eines Zeichens benötigt werden. Die heute am weitesten verbreitete mechanische Punktschriftmaschine ist der Perkins-Brailler, mit der aber nur Sechs-Punkt-Braille geschrieben werden kann. Zum Schreiben von Acht-Punkt-Braille (Eurobraille) wird heutzutage meist die elektrische Elotype verwendet.


Die Braille-Schrift ist eine Punkteschrift die sich aus sechs Punkten zusammen setzt, die in zwei senkrechten Reihen zu je drei Punkten angeordnet sind. Insgesamt lassen sich damit 64 Kombinantionen darstellen. Foto: Markt-Huter

 

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Lesen in Tirol hat den Tiroler Blinden- und Sehbehindertenverband (TBSV) besucht und den Obmann des TBSV Richard Payr und die für Öffentlichkeitsarbeit zuständige Mag. Barbara Hoffmann zum Lesenlernen und Lesen in Blindenschrift interviewt. Weitere Fragen betrafen das Literaturangebot in Blindenschrift in Tirol aber auch das Lesen am Computer, im Internet und die Bedeutung des barrierefreien Zugangs zu diesem Medium.

 

Interview: Teil 1

 

Lesen in Tirol: Was bedeutet es für blinde Menschen die Blindenschrift zu erlernen und lesen zu können?

Richard Payr: Lesen zu können ist der Schritt in die Gesellschaft, weil durch das Lesen und Schreiben blinde Menschen keine Analphabeten mehr sind. Man muss die Sache ganz nüchtern betrachten: blinde Menschen die nicht Lesen und Schreiben können, sind in gewisser Form Analphabeten. Die Brailleschrift ermöglicht es blinden Menschen in einer taktilen Form, also über den Tastsinn der Finger, Lesen und Schreiben zu können.

Barbara Hoffmann: In der Mitte des 19. Jahrhunderts konnte sich die Brailleschrift als Blindenschrift durchsetzen. Die Entwicklung dieser Schrift war auch Voraussetzung für das gesamte Selbsthilfewesen, für die Gründung von Blindenverbänden, weil dadurch blinde Menschen auch untereinander in Briefen kommunizieren konnten und nicht immer auf Hilfe angewiesen waren. Erst seit der Aufklärung setzt sich die Vorstellung durch, dass Blinde bildungsfähig sind.

Aber erst durch die Entwicklung der Blindenschrift ist es Blinden möglich, Bildungsinhalte lesend zu erlernen. Die Schrift eröffnet erst das Studium und die Berufsausbildung. Gerade heute im Zeitalter des Computers kommt der Blindenschrift über die Braillezeile am Computer eine besonders wichtige Bedeutung zu. Blinde können heute mit diesen Hilfsmitteln Berufe erlernen, die ansonsten undenkbar wären.

Dabei ist die Blindenschrift nicht nur für die berufliche Integration von großer Bedeutung sondern eröffnet auch für den privaten Bereich die Welt des Lesens, die Beschäftigung durch das Lesen. Wer die Blindenschrift beherrscht kann selber Lesen, selber Schreiben und dadurch mit anderen Menschen kommunizieren, woraus oft relativ großes Netzwerke entstehen, was für die Psyche aller Menschen von ganz großer Bedeutung ist.


(Bild v.l.n.r.:) Mag. Barbara Hoffmann, die für Öffenlichkeitsarbeit zuständig ist und der Obmann des Tiroler Blinden- und Sehbehindertenverbands Richard Payr. Foto: Mark-Huter

 

Richard Payr: Die Technik des 20. und 21. Jahrhunderts hat für blinde Menschen sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich eine Fülle an Möglichkeiten eröffnet. Die Brailleschrift ermöglicht es direkt am Computer lesen und schreiben zu können. Texte die am Bildschirm erscheinen, können über eine Braillezeile haptisch dargestellt und mit den Fingern ertastet werden.

Lesen in Tirol: Seit wann gibt es das Hilfsmittel der Braillezeile für die Arbeit am Computer?

Barbara Hoffmann: Bereits in den 80iger Jahren gab es Vorläufer der heutigen Braillezeile, die sich schließlich in den 90iger Jahren des 20. Jahrhunderts durchsetzen konnte. Es ist heute möglich fast alle Dokumente zu lesen, wobei bestimmte Arten von Dokumenten wie z.B. pdf.-Dateien immer noch gewisse Probleme bereiten. Wer etwa im Internet barrierefrei Informationen anbieten möchte, sollte derzeit wenn möglich auf pdf.-Dateien verzichten.

Generell bereiten Homepages, die immer komplizierter werden, zunehmend größere Schwierigkeiten, sodass manche Internetseiten gar nicht mehr gelesen werden können.
Es handelt es sich dabei nur um ein Problem der Herstellung. Wenn die bestehenden Regeln für barrierefreies Webdesign eingehalten werden, ist praktisch jede Information zugänglich.

Richard Payr: In den 80iger Jahren wurde bereits elektronische Hilfsmittel entwickelt, die eine Speicherkapazität von 240 KB aufgewiesen haben.

Barbara Hoffmann: Heute gibt es immer noch ähnliche aber kleinere Geräte, die z.B. von Blinden wie eine Art Mini-Laptop für das Studium verwendet werden. Mit diesem Gerät können Notizen gemacht werden, es lassen sich aber auch ganze Bücher auf die Festplatte laden. Blinde Menschen können diese Texte dann selbst lesen oder sich durch Sprachausgabegeräte vorlesen lassen. Abgesehen davon, dass diese Geräte sehr teuer sind, sind sie sehr praktisch, sehr klein und werden technisch immer weiter verbessert.

Viele blinde Menschen haben aber auch weiterhin die klassische Blindenschreibmaschine, den Perkins Brailler, die sich seit den 50iger Jahren des 20. Jahrhunderts praktisch nicht verändert hat. Der Vorteil der Schreibmaschine liegt darin, dass sie sehr stabil gebaut wurde und elektronische Fehlerquellen nicht existieren. Sie wird immer noch viel verwendet, weil sich Notizen gleich ausdrucken lassen.

Richard Payr: Ich selbst erinnere mich noch an meine Schulzeit, in der ich gelernt habe mit der Perkins Brailler zu schreiben und wo es mitunter vorkam, dass die massive und schwere Schreibmaschine zu Boden fiel, ohne jedoch einen Schaden davon zu tragen.


Die klassische Blindenschreibmaschine ist die Perkins-Brailler, die 1951 in den USA erstmals produziert worden ist. Jede der sechs Tasten, die einem der sechs Punkte der Brailleschrift für Blinde  entspricht, können gleichzeitig oder einzeln gedrückt werden können und so die verschiedenen Buchstaben und Zeichen in das Punktschriftpapier prägen. Foto: Mark-Huter

 

Barbara Hoffmann: Der Vorteil der viel kleineren Notizgeräte liegt natürlich in ihrer Mobilität dank eines geringeren Gewichts. Die Schreibmaschine wird aber nach wie vor benutzt um z.B. CDs zu kennzeichnen, die jeder Blinde einzeln beschriften muss, um sie wiederfinden zu können. Dazu gibt es eigene durchsichtige Folien die mit Brailleschrift bedruckt und sich auf CDs aber auch auf Gegenstände wie Salz- und Pfefferstreuer kleben lassen.

Lesen in Tirol: Wo lässt sich in Tirol die Blindenschrift erlernen?

Richard Payr: Die Blindenschrift, die so genannte Brailleschrift kann direkt bei uns im Tiroler Blinden- und Sehbehindertenverband erlernt werden. In unseren Kursen wird zunächst die Vollschrift, das heißt die einzelnen Buchstaben von A - Z erlernt. Schülerinnen und Schülern sind nicht blinde oder sehbehinderte Menschen sondern auch deren Angehörige, oder Menschen die sich dafür interessieren und die es ganz einfach spannend finden, die Brailleschrift zu erlernen.

Barbara Hoffmann: Wir bieten natürlich auch Kurse für die Eltern der blinden Kinder an, weil sie imstande sein müssen, die Hausaufgaben ihrer Kinder in Blindenschrift zu kontrollieren. Wir bieten, wenn ein entsprechender Bedarf vorhanden ist, auch Kurse in den Bezirken an, wie etwa seit 2005 in Osttirol.

Lesen in Tirol: Wie sind die Kurse aufgebaut und wie lange dauern sie?

Richard Payr: Ein Kurs besteht durchschnittlich aus zwölf Einheiten, wobei eine Einheit aus ungefähr zwei Stunden besteht, die wöchentlich abgehalten werden. Danach sollten die Kursteilnehmer die Vollschrift grundsätzlich erlernt haben, welche die Grundlage für die Blindenschrift bildet.

Als weiterführende Maßnahme sollte dann aber unbedingt auch die Kurzschrift erlernt werden, die als eine Art Stenographie der Blindenschrift betrachtet werden kann. Im Bereich der Blindenschule müssen die Betroffenen ab der ersten Hauptschule die Kurzschrift erlernen. Im Bereich der Kurzschrift werden bestimmte Wörter abgekürzt wiedergegeben, sodass sich ein Wort oft nur mehr aus zwei Buchstaben zusammensetzt. Der Vorteil liegt nahe liegender Weise darin, die ohnehin schon sehr umfangreichen Texte in Blindenschrift, ein wenig reduzieren zu können.

 
In den Blindenschriftkursen werden zunächst die einzelnen Buchstaben der Vollschrift gelernt. In Tirol bietet der Tiroler Blinden- und Sehbehindertenverband auch Kurse in den Bezirken an, wie etwa seit 2005 in Osttirol. Foto: Mark-Huter

 

Heute erscheinen ca. 80% - 85% der literarischen Werke in Kurzschrift, weshalb auf das Erlernen der Kurzschrift nicht verzichtet werden kann. Um das ganze ein wenig zu veranschaulichen, muss man sich vorstellen, dass z.B. das Neue Testament der Bibel in Kurzschrift geschrieben 21 Bände umfasst.

Barbara Hoffmann: Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass das Neue Testament ohne Kurzschrift den doppelten Umfang hätte, wobei Papier für Blindenschrift um vieles dicker ist als Normalpapier. Ein anderer großer Vorteil moderne Blindendrucker besteht darin, dass sie imstande sind, die Papierblätter beidseitig zu bedrucken, während sich früher die Eindrücke der Drucker auf der Papierrückseite zu sehr spüren ließen.

Richard Payr: Es handelt sich bei diesem Papier um ein spezielles Papier, das wir in Wien oder Deutschland einkaufen. Hergestellt wird es speziell für Blindendrucke und Blindenverlage. Nachdem die Kurzschrift ein Einsparungspotential von ca. 40 % gegenüber der Vollschrift bietet, lässt sich selbstverständlich auch sehr viel Papier und damit auch Gewicht eines Buches reduzieren.

Barbara Hoffmann: Auch der Tiroler Blinden- und Sehbehindertenverband verfügt über einen kleinen Blindendrucker, mit dem wir zwar nicht in Masse produzieren können, mit dem es aber doch möglich ist beispielsweise Speisekarten herzustellen, was wir allen Restaurant-Betrieben kostenlos anbieten. Viele Gastronomiebetriebe haben unser Angebot, ihre Speisekarten in Blindenschrift zu drucken bereits als Chance wahrgenommen.

Richard Payr: Dazu möchte ich sagen, dass das Bewusstsein in den letzten Jahren durchaus gewachsen ist. Es gibt derzeit ca. 15 - 20 Tiroler Gastronomiebetriebe in denen bereits Speisekarten für Blinde aufgelegt werden. Es handelt sich dabei natürlich in erster Linie um Betriebe, die von blinden Menschen häufiger aufgesucht werden. Auch dabei handelt es sich um eine Form der Barrierefreiheit, wenn es blinden Menschen möglich ist, die Speisekarte selbst lesen zu können.

Betriebe, die ihre Speisekarte in Blindenschrift ausdrucken lassen wollen, können sich gerne direkt an uns wenden. Der Tiroler Blinden- und Sehbehindertenverband betrachtet dieses Angebot als Öffentlichkeitsarbeit, mit dem wir unseren Mitgliedern den Zugang in Restaurants erleichtern können.

Lesen in Tirol: Wie viele Personen in Tirol beherrschen derzeit die Blindenschrift?

Richard Payr: Wir betreuen derzeit in Tirol ca. 1.650 Personen, von denen ungefähr 10 - 15 % die Blindenschrift lesen können. Davon beherrscht wieder nur ein Teil die zuvor angesprochene Kurzschrift. Der Grund für die geringe Anzahl, liegt daran, dass die meisten Menschen erst im Alter schlechter zu sehen beginnen und dass im Alter das taktile Gefühl in den Fingern meist nicht mehr so gut ausgeprägt ist, wie bei jüngeren Menschen. Das Gefühl in den Fingerspitzen hängt sehr stark von der Tätigkeit ab, die ein Mensch in seinem Berufsleben ausgeübt hat und unterscheidet sich ganz erheblich zwischen einem Uhrmacher und einem Bauarbeiter.


Die Buchstaben der Blindenschrift werden über die Finger ertastet, so dass dem Gefühl in den Fingerspitzen eine entscheidende Bedeutung zu kommt. Oft nimmt die taktile Wahrnehmung im Alter jedoch ab, weshalb Menschen deren Sehfähigkeit im Alter verloren geht, das Lesen in Blindenschrift meist schwerer erlernen als Kinder. Foto: Mark-Huter

 

Nichts desto trotz haben wir in unseren Kursen auch Personen, die in höherem Alter noch mit dem Erlernen der Blindenschrift beginnen. Das Ertasten der einzelnen Punkte für die Zeichen und Buchstaben, bleibt aber für das Erlernen der Blindenschrift unabdingbar, was mit 60 Jahren oft nicht mehr so gut funktioniert wie noch mit 20 Jahren. Besonders leicht erlernen die Schrift vor allem Kinder, die an der Sache meist ihren Spaß haben.

Barbara Hoffmann: Im Rahmen unserer Frühförderung werden Kinder von 0 - 7 Jahren betreut und vor allem im Alter vor der Einschulung werden die ersten Versuche unternommen, die Kinder spielerisch an die Blindenschrift heran zu führen. Dazu verwenden wir eigens für Kinder hergestellte Lernmaterialien, die zumeist aber sehr teuer sind.

Aber für Menschen die im höheren Alter erblinden, ist es sehr wichtig, möglichst rasch mit dem Erlernen der Blindenschrift zu beginnen. Auch für viele Sehbehinderte ist es besonders wichtig, die Blindenschrift noch zu erlernen, solange sie noch Reste ihres Sehvermögens haben, weil sich dann die Schrift viel schneller erlernen lässt. Das Erlernen der Blindenschrift bei noch vorhandenem Sehvermögen wird ein Schwerpunkt sein, den wir in Zukunft setzen werden.

Lesen in Tirol: Wird das Erlernen der Blindenschrift von der Öffentlichkeit finanziell gefördert?

Richard Payr: Menschen die noch beruflich tätig sind, werden finanziell unterstützt. Schlechter ist die Lage für ältere Personen, die nicht mehr arbeiten oder bereits eine Berufsunfähigkeitspension erhalten. Wir bieten aber jedem grundsätzlich die Möglichkeit, unsere Kurse zu besuchen. Finanziell begnügen wir uns dann zumeist mit einem Anerkennungsbeitrag für den Blindenschriftkurs. Niemandem soll das Erlernen der Blindenschrift aufgrund fehlender finanzieller Mittel verwehrt werden.

Barbara Hoffmann: Wir müssen ca. 45% unseres finanziellen Aufwands mit Hilfe von Spendengeldern finanzieren und bitten daher immer wieder die Bevölkerung, uns finanziell zu unterstützen. Ohne diese Hilfe könnten wir nur ganz wenigen Personen das Erlernen der Blindenschrift anbieten. Auch die Produktion von Blinden-Speisekarten, die Herstellung von Materialien oder der Ankauf von Blindendruckern lassen sich nur über die Spendengelder finanzieren.

Richard Payr: Älteren Menschen oder Beziehern einer Berufsunfähigkeitspension, bei denen die finanziellen Mittel knapp sind, versuchen wir trotzdem das Erlernen der Blindenschrift zu ermöglichen. In Summe ergeben sich erhebliche Ausgaben, die durch Spendengelder finanziert werden müssen.

Lesen in Tirol: Welche Rolle spielen Hörbücher und Literatur für Blinde?

Richard Payr: Hörbüchereien spielen eine wesentliche Rolle im Leben blinder und sehbehinderter Menschen. Sie erweitern die Möglichkeiten an der Gesellschaft teilzunehmen und etwas zu erleben allein schon deshalb, weil das Repertoire an Hörbüchern das Angebot an Büchern in Blindenschrift um ein Vielfaches übertrifft.


Für den Obmann des TBSV Richard Payr bieten Hörbücher und Bücher in Blindenschrift blinden und sehbehinderten Menschen eine wichtige Möglichkeit an der Gesellschaft teilzunehmen. In Tirol kann derzeit aus ca. 200 Büchern in Blindenschrift ausgewählt werden, österreichweit sind es ungefähr 7.000 Werke. Foto: Mark-Huter

 

Der Österreichische Blinden- und Sehbehinderten-Verband bietet derzeit ca. 7.000 Werke an, die unsere Mitglieder über unsere Dachorganisation beziehen können. In Tirol haben wir knapp 200 Bücher für Erwachsene in Blindenschrift, die wir derzeit im Sonderpädagogischen Zentrum für blinde und sehbehinderte Kinder in der Ing. Etzl-Straße untergebracht haben und die später in unserem neuen Haus stehen soll.

Ein Großteil des Literaturangebots kann der Belletristik zugeordnet werden kann. Daneben steht aber auch Fachliteratur in Form von Hörbüchern zur Verfügung, was vor allem in beruflicher Hinsicht oder für das Studium von großer Bedeutung ist. Für mich selbst haben Hörbücher bei meiner Deutsch-Matura eine wesentliche Hilfe dargestellt.

Für den Freizeitbereich lassen sich Hörbücher aus dem Leben blinder und sehbehinderter Menschen heutzutage gar nicht mehr weg denken. Die Hörbücherei in unserem Verband besteht schon sehr lange, daneben gibt es aber auch zahlreiche Öffentliche Büchereien, die Hörbücher anbieten.

Lesen in Tirol: Wie gestaltet sich das Angebot an Literatur in Blindenschrift?

Richard Payr: Beim Buchangebot in Brailleschrift handelt es sich hauptsächlich um Belletristik, die vor allem dem Bereich der klassischen Literatur zu geordnet werden können. Es gibt in Wien eine Blinddruck-Bücherei und auch in Deutschland gibt es mehrere Büchereien mit Blindendrucken. Die Auswahl an Büchern in Brailleschrift ist aber bei weitem nicht mit der von Büchereien in normaler Schrift vergleichbar.

Auf der anderen Seite bietet allein die Blindendruck-Bücherei in Wien so viele Titel, dass ein ganzes Leben nicht genügen würde, alle Bücher zu lesen. Schwieriger wird die Lage, wenn spezielle Sachliteratur beispielsweise für ein Studium benötigt wird. Hier bleibt meist nur die Möglichkeit offen, auf die Angebote der Hörbücherei zurück zu greifen.

Lesen in Tirol: Wenn ich in Tirol ein Buch in Blindenschrift ausleihen möchte, welche Möglichkeiten stehen mir dazu offen?

Barbara Hoffmann: Wir haben im Tiroler Blindenverband eine kleine Bibliothek an Büchern in Blindenschrift, die man sich problemlos per Post gratis als Blindensendungen zukommen lassen kann. Die Angebote der Blindendruck- und Hörbuch-Büchereien können wir über unsere zentrale Dachorganisation, dem Österreichischen Blinden- und Sehbehindertenverband (ÖBSV) anbieten.


Eine der wesentlichesten Verbesserung für blinde Leser ist die Möglichkeit, sich alle Bücher einscannen und mit Hilfe einer Spracherkennungssoftware erfassen zu können. So steht heute blinden und sehbehinderten Menschen praktisch sämtliche Literatur offen. Foto: Mark-Huter

 

sich Es ist aber wichtig festzuhalten, dass Blinde im Prinzip jedes Buch erhalten können, weil sich heute alle Bücher einscannen und sich die Texte mit Hilfe einer Spracherkennungssoftware erfassen lassen.

Wir bestellen mitunter aber auch selbst Blindenbücher oder Texte. Es gibt z.B. in Deutschland einen Kosmetikhersteller, der seine Produkte mit Beschreibungen auch in Blindenschrift anbietet, was wir dann natürlich an unsere Mitglieder weitergeben. Es besteht außerdem schon lange vor dem 2. Weltkrieg eine Vernetzung mit Deutschland, wo wir in Österreich beispielsweise auch von der Zentralbücherei für Blinde in Leipzig Bücher bestellen können.

Dabei darf nicht vergessen werden, dass selbst die Lagerung dieser Bücher ein kleines finanzielles Problem darstellt, weil Bücher in Blindenschrift sehr viel Platz benötigen und nicht in feuchten Kellern gelagert werden können. Dabei tritt immer wieder das Problem auf, dass Bücher durch mangelhafte Lagerung zerstört werden.

Es ist aber wichtig festzuhalten, dass Blinde im Prinzip jedes Buch erhalten können, weil sich heute alle Bücher einscannen und sich die Texte mit Hilfe einer Spracherkennungssoftware erfassen lassen. Teilweise müssen Seiten noch ein wenig bearbeitet werden, wobei im wissenschaftlichen Bereich vor allem Tabellen gewisse Probleme bei der Darstellung bereiten. Wir haben beispielsweise einen blinden Chemiestudenten, der immer wieder mit chemischen Formeln zu kämpfen hat.

Wir haben in Tirol an der Universität Innsbruck den modernsten Scan-Computer Österreichs, der die besten Voraussetzungen bieten würde, um auch den blinden Studenten diese Technik zur Verfügung zu stellen. Wir haben mittlerweile unsere Bemühungen einer Zusammenarbeit mit der Universität intensiviert, weil gerade ein Studium für blinde Menschen eine große Herausforderung darstellt, um an der Gesellschaft teilzunehmen.

 

 

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Weiterführende Links:
Tiroler Blinden- und Sehbehindertenverband
Bundes-Blindenerziehungsinstitut

 

Andreas Markt-Huter, 21-01-2008

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